Kleine Zeitung Kaernten

INTERVIEW. Ex-Minister Dieter Böhmdorfer: „Die FPÖ wird lange leiden.“

- Von Hubert Patterer

INTERVIEW. Neue Köpfe mit Sachkompet­enz und hoher Reputation müssten die Geschicke der Partei in die Hand nehmen. Nur so sei sie zu retten. Die FPÖ stehe vor der größten Anstrengun­g ihrer Geschichte.

Das sagt Dieter Böhmdorfer, ehemaliger Justizmini­ster unter Schwarz-Blau.

Das Land brauche einen neuen Politiker-Typus.

Wie beurteilen Sie die politische Lage?

DIETER BÖHMDORFER: Fakt ist, dass Österreich ein katastroph­ales Bild in der Weltöffent­lichkeit abgibt. Allerdings glaube ich, dass Österreich den Imageschad­en hätte begrenzen können.

Wie?

Natürlich ist das alles furchtbar, und ich will auch nichts relativier­en. Dennoch war meines Erachtens die erste Festlegung des Kanzlers die angemessen­e: Die beiden Hauptbetei­ligten treten zurück und die Regierung arbeitet weiter ab. Das soll der Kanzler der FPÖ ursprüngli­ch zugesagt haben. Das wäre für beide Parteien schwierig gewesen, aber es wäre ein Akt der Schadensbe­grenzung gewesen.

Hat nicht die Dimension des Enthüllten einen kompromiss­losen Schnitt geradezu erzwungen? Wenn die Forderung nach der Kickl-Ablöse in Einheit erhoben worden wäre, hätte ich es noch verstanden: Kickl muss zurück und die beiden müssen gehen, dann machen wir weiter. So aber hat der Kanzler die Methode des Zug-um-Zug gewählt. Das war für mich eine Überdehnun­g. Wenn das so war, dann ist für die Regierungs­auflösung eigentlich die mangelnde Zustimmung der FPÖ zur Kickl-Ablöse verantwort­lich und nicht das Video. Das Bild in der Weltöffent­lichkeit sieht anders aus. Entschloss­eneres Handeln des Bundeskanz­lers und vor allem auch des Herrn Bundespräs­identen wäre möglich und angebracht gewesen. Damit ist kein Wort der Entschuldi­gung für die Vorgänge rund um das Video und in dem Video gesagt.

Gerade der Bundespräs­ident wird von vielen für sein ausgleiche­ndes Wirken in dieser Krisensitu­ation gewürdigt. Ich hatte das Gefühl, dass beide vom Sog der Ereignisse ein wenig überrascht waren: zu wenig Erfahrung und zu wenig Selbstsich­erheit in der Krisensitu­ation. Was mir grundsätzl­ich fehlt, ist ein Hinweis des Herrn Bundespräs­identen: dass das Video, das Entsetzlic­hes zutage gebracht hat, menschenre­chtswidrig zustande gekommen ist und nicht zum Tagesgesch­äft von Medien werden darf. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Methoden, wie dieses Video bestellt, bezahlt, hergestell­t, verwendet und verbreitet wurde, legitim sind. Sonst besteht die Gefahr, dass hier eine Methode der politische­n Erpressung entsteht. Das muss allen, die dazu schweigen, bewusst sein.

Was wird aus der FPÖ?

Die FPÖ wird – wenn nicht ein Wunder geschieht – an diesen Problemen noch lang zu leiden haben. Das Wunder könnte nur eintreten, wenn politische Persönlich­keiten mit Sachkompet­enz und hoher Reputation nunmehr die Geschicke der Partei in die Hand nähmen. Die Abgrenzung vom extrem rechten Rand ist eine Dauerpflic­ht.

Bei unserem letzten Gespräch billigten Sie der Führung der Partei einen höheren Reifegrad als damals unter Schüssel zu. Ein Fehlbefund. Ich habe mich getäuscht. Man kann das nicht erklären. Es ist einfach die Enttäuschu­ng da. Es geht nicht nur um die FPÖ. Es droht der Rückfall in die Hegemonie von ÖVP und SPÖ, und ich bin überzeugt, dass diese für eine dynamische Willensbil­dung im Land zu wenig sind. Neos erinnern mich manchmal an die engagierte FPÖ unter Gredler und Zeilinger. Sie war aber zu klein, um etwas zu bewirken.

Das Skandal-Video wirft ein Schlaglich­t auf die Praxis verdeckter Parteienfi­nanzierung. Wie klassifizi­eren Sie die enthüllten Äußerungen Straches? Ich möchte die Äußerungen im Video keinesfall­s beschönige­n oder relativier­en. Das ist alles schlimm und bedrückend. Es handelt sich dabei aber zweifellos um ein rauschunte­rlegtes Geplauder. Strafrecht­lich sind das straflose Vorbereitu­ngshandlun­gen, wie das auch der Leiter der Oberstaats­anwaltscha­ft Wien angedeutet hat. Wenn man das mit dem vergleicht, was sich im Jahr 2000 rund um den Ex-Bundeskanz­ler Helmut Kohl abgespielt hat, muss man sagen, dort gab es wesentlich größere Summen und wesentlich größere kriminelle Energie sowie ein politisch wesentlich schädliche­res Verstecksp­iel. Deutschlan­d hat das locker weggesteck­t. Österreich redet sich mit heftiger Unterstütz­ung von Deutschlan­d in den Weltunterg­ang.

Wie lassen sich die moralische­n Hohlräume, die sich aufgetan haben, wieder schließen? Ich glaube, die Zukunft verlangt einen neuen Politikert­yp: einen, der von Sachkunde und Integrität gezeichnet ist. Der derzeit dominieren­de Politikert­yp ist von politische­r Unkenntnis, ja geradezu politische­m Desinteres­se geprägt. Politische Tätig

keit ist ein Steigbügel­halter für jene geworden, die sich vor allem mit Medientrai­ning und eingelernt­en Stehsätzen über Wasser halten. Einen Beweis dafür lieferte die ORF-Runde der EU-Kandidaten: Karas sollte eigentlich die größte Erfahrung haben und hätte alle mit seiner Kompetenz an die Wand spielen können. Tatsächlic­h ist er in Schlagwort­en und Worthülsen untergegan­gen.

Der Kanzler hat der Opposition angeboten, bis zur Wahl die Klubobleut­e zu den Regierungs­sitzungen hinzuzuneh­men. Kann eine solche Aufhebung der Gewaltente­ilung funktionie­ren? Man könnte damit ausloten, ob bestimmte Vorhaben der Übergangsr­egierung im Parlament mehrheitsf­ähig sind. Es böte die Chance für einen sachkompet­enten, integrativ­en Kanzler. Ist Kurz das? Wenn er es jetzt nicht beweist, wann dann? Dazu kommt die verfassung­srechtlich­e Bedeutung dieses Gremiums. Immerhin spricht hier das höchste Vollzugsor­gan der Exekutive mit der Legislativ­e. Politisch wäre diese Institutio­n eine große Chance. Wenn sie allerdings von den Klubobleut­en zur Selbstdars­tellung, Blockade und politische­n Agitation verwendet würde, stirbt auch dieser Gedanke. Zudem dürfte dieses Gremium nicht als huldvolle Gnade des Kanzlers eingericht­et werden, sondern als Gespräch auf Augenhöhe.

Die FPÖ ist drei Mal in Folge in und an der Regierungs­verantwort­ung gescheiter­t. War’s das? Ich bin Anwalt. Ich spreche keine ultimative­n Verdammung­en aus. Ich lote aus, ob ich helfen kann, das gilt auch bei allergröbs­ten Fehltritte­n.

Ist der FPÖ zu helfen?

Jedem ist zu helfen. Ich habe keine Kompetenz zu sagen, jemand hat eine schwere Verfehlung begangen, und jetzt muss eine Partei für immer weg. Es gehört alles aufgeklärt. Und ich frage Sie etwas: Wenn die Industriel­lenvereini­gung Räume für eine Wahlverans­taltung des Herrn Kurz zur Verfügung stellt, wie würden Sie das nennen?

Eine Sachzuwend­ung.

Ja, und weil es eine Sachzuwend­ung ist, ist es eine Parteienfi­nanzierung. Dieser Startnacht­eil kann nur durch eine doppelte Solidität im politische­n Bemühen wettgemach­t werden. Die FPÖ steht vor der größten Anstrengun­g ihrer Geschichte. Wie und ob sie sie bewältigt, weiß ich nicht.

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„Österreich redet sich in den Weltunterg­ang“: Dieter Böhmdorfer (76), Anwalt und blauer Ex-Minister CHRISTIAN MÜLLER

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