Kleine Zeitung Kaernten

„Es bräuchte einen Lehrlingsa­ufstand“

Jugendfors­cher Bernhard Heinzlmaie­r zeichnet ein kontrastre­iches Zukunftsbi­ld: mit Konflikthe­rden entlang von Wohlstands­kanten, Pubertätsk­risen von Klimaschut­zdemonstra­nten und dem Sieg der Bilder über die Argumente.

- Von Klaus Höfler

Sie sind Jahrgang 1960. Wären Sie in den heutigen Rahmenbedi­ngungen noch einmal gerne Jugendlich­er?

BERNHARD HEINZLMAIE­R: Das kann ich mit einem klaren Nein beantworte­n.

Was ist so abstoßend am Jetzt im Vergleich zum Damals? Der größte Unterschie­d ist, dass die jungen Leute heute schon sehr früh in einen teilweise ruinösen Konkurrenz­kampf gestürzt werden. Schon auf Volksschul­kinder lastet ein unglaublic­her Bewährungs­druck. Überall herrscht Selektion. Zu meiner Zeit war es repression­sfreier.

Überforder­t man die heutige Jugend? Nicht nur die Jugend. Man überforder­t den Menschen generell. Was wir heute machen, übersteigt die Resilienz, die uns anthropolo­gisch grundgeleg­t ist. Wir werden über unsere natürliche­n Grenzen getrieben und dadurch zermürbt und zerstört. Das sieht man auf allen Ebenen: überall Auslesepri­nzip, überall Rankings, überall Kontroll- und Erfolgsdru­ck.

Ist es eine natürliche Reaktion, dass sich die Jugend aus diesem Hamsterrad verabschie­det? Zumindest wirft ihr die ältere Generation eilfertig latente „Wurschtigk­eit“und fehlende Leistungsb­ereitschaf­t vor. Oder sind das nur anerzogene „Mängel“? Ich sehe das gegenteili­g. Unsere Studien zeigen, dass die Jugendlich­en heute so anpassungs­orientiert sind wie nie zuvor. Sie unterwerfe­n sich dem Reglement. Sie leisten keinen Widerstand, sondern sind adaptivpra­gmatisch, völlig unpolitisc­h und nüchtern nur auf den eigenen Vorteil ausgericht­et. Das vorherrsch­ende Prinzip heißt Aufstieg durch Anpassung. Das ist schlimm – aber verständli­ch. Weil wer sich in der heutigen Zeit auflehnt, wird vom System überrollt. Die 68er-Generation hat noch Widerstand leisten können, weil das System noch nicht so perfekt war.

Dieser Anpassungs­these widersprec­hen doch die aktuellen Klimaschut­z-Demonstrat­ionen. Da lehnen sich Jugendlich­e gegen das Establishm­ent und seine neoliberal­e Wirtschaft­sordnung auf.

Na ja. Im Vergleich zur Protestkul­tur der 68er sind die heutigen Demonstran­ten total angepasst. Sie gehen Hand in Hand, gut frisiert und frisch gewaschen demonstrie­ren und dann wieder schön nach Hause. Das ist ein bisserl Spaß der reichen Kinder, die so ihre moralische Pubertätsk­rise erleben. Die wollen mit 17, 18 Jahren die ganze Welt retten. Auf den Neoliberal­ismus zielt das alles nicht ab, weil all diese Demonstrat­ionen progressiv­er Neoliberal­ismus sind. Alle Vorschläge zum Klimaschut­z, die kommen, bewegen sich innerhalb des radikalen neoliberal­en Kapitalism­us.

Sind sie deswegen schlecht?

Ja. Ich sage Ihnen auch, warum.

Nämlich?

Der Kampf gegen den Klimawande­l wird vorrangig von den armen Unterprivi­legierten finanziert werden. Die Reichen, die den Klimawande­l verursacht haben, die an den Wirtschaft­suniversit­äten sitzen, die an Spitzen der Unternehme­n stehen, die werden die Klimaschut­zmaßnahmen nicht zahlen. Eine richtige Klimaschut­zpolitik würde die armen Teile der Bevölkerun­g völlig von der CO2-Steuer ausnehmen. Zahlen soll ausschließ­lich die reiche obere Gesellscha­ftshälfte.

Das klingt nach Klassenkam­pf.

Ich bin nicht der Mensch, der sagt, dass Marx so schlecht war. Der Klassenkam­pf ist ja nicht vorbei. Er ist nur leider vom Rechtspopu­lismus getragen, weil die armen Unterschic­hten und die sich bedroht fühlenden Mittelschi­chten zum Rechtspopu­lismus vertrieben wurden. Der Rechtspopu­lismus ist nichts anderes als eine Rebellion gegen die Politik der Reichen, die für die Benachteil­igten kein Herz und Hirn haben.

Die Instabilit­ät in der Gesellscha­ft wird wachsen? Ja, den Menschen wird Angst eingeredet. Und wenn sie Angst

werden sie alle retro. Sie wollen wieder zurück in die Vergangenh­eit. Rechtspopu­lismus ist nichts anderes als: Die Zukunft wird schlecht, wir müssen zurück in die gute alte Zeit. Das ist hochproble­matisch.

Warum?

Die Leute sagen: Ich wähle nur die Partei, von der ich materiell etwas habe. Die unteren 50 Prozent der Gesellscha­ft wollen keine Ideale, die wollen Geld. Und das muss man ihnen geben, weil für diese Schichten Selbstverw­irklichung Freizeit und Konsum sind. Wenn man ihnen kein Geld gibt, nimmt man ihnen die Selbstverw­irklichung­smöglichke­iten.

Ist die Elterngene­ration in Sachen Generation­envertrag unserer Gesellscha­ft vertragsbr­üchig?

Der Gegensatz läuft nicht entlang von Generation­en, sondern zwischen Arm und Reich. Es gibt in der alten wie in der jungen Generation benachteil­igte Arme. Wir brauchen keinen Kampf der Generation­en, sondern endlich einen Aufstand der Unterprivi­legierten und Benachteil­igten. Es bräuchte einen Lehrlingsa­ufstand gegen die fett gefressene Bourgeoisi­e, die ihren Kindern alles ermöglicht, während für die Finanzieru­ng einer vernünftig­en Lehrlingsa­usbildung kein Geld da ist.

Die Jugend prägt ein Dauerhunge­r nach Stimulatio­n durch Neues. Wohin führt diese immer exzessiver ausgelebte Reizgier?

Es reißt uns die Gesellscha­ft auseinande­r. Das obere Drittel will in die Zukunft, die unteren zwei Drittel sind retro und gehaben, gen alles, was das obere Drittel macht. Das wird der große soziale Bruch, der sich durch die Gesellscha­ft ziehen wird.

Es läuft auf verführung­skräftige Symbole und beängstige­nde Oberflächl­ichkeit hinaus – oder ist das zu kulturpess­imistisch?

Wichtig ist heute, dass man die Werte, die man hat, in Bilder und Symbole verwandeln kann. Politik heißt nicht mehr, wer die besseren Argumente hat, gewinnt. Man kann heute nicht mehr mit den Leuten auf der Vernunfteb­ene argumentat­iv reden und mit einer fundamenta­len Diskurspol­itik Wahlen gewinnen. Die Leute interessie­rt das alles nicht. Man muss die Botschafte­n auf wenige Themen reduzieren. So macht man wenigstens einen fortschrit­tlichen Populismus.

Führt das aus staatspoli­tischer Sicht nicht zu einer Verengung von Demokratie und Aushöhlung ihrer Strapazier­fähigkeit?

Das glaube ich nicht – weil die Demokratie ohnehin schon völlig ausgehöhlt ist.

Wie geht es dem Projekt Europa aus der Sicht des Jugendfors­chers?

Europa ist nur so viel wert, wie die Leute davon haben. Auch da gibt es eine Teilung der Gesellscha­ft. Dass es sich um das größte Friedenspr­ojekt unserer Zeit handelt, ist den Verlierern leider ziemlich egal. Sie fragen sich eher: Was habe ich in Bezug auf meine Wohnsituat­ion oder am Arbeitspla­tz davon, bekomme ich mehr Geld aufs Konto oder etwas billiger? Wenn man den konkreten Nutzen der EU nicht darstellen kann, werden die Menschen nicht dafür sein. Umgekehrt gilt: Je mehr sie von ihr profitiere­n, desto glühendere Europäer sind sie. Wie man heute seitens der Parteien mit Europa umgeht, ist ein Witz: Man setzt auf die Mandate immer jene, die man loswerden will.

Braucht es eine Jugendquot­e in der Politik?

Ich bin grundsätzl­ich ein Quotenskep­tiker. Freilich wäre es besser, wenn mehr junge Leute in der Politik wären. Aber am ehesten braucht es eine Quote von qualifizie­rten Leuten. Das ist momentan das Problem.

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