Mit einem „Berg-Sprint“ zum Toursieg
Egan Bernal (22) wird der erste kolumbianische Sieger der Tour de France sein. Denn auf der letzten Etappe wird nicht mehr attackiert.
Bis vorgestern zierte eine viel zu große, rechteckige Sonnenbrille in Weiß sein schmales Gesicht, seit gestern trägt er das gleiche Ungetüm in Gelb. In der Farbe seines Trikots, das er am Freitag übergestreift bekommen hat. Mit dem er die Führung beim wichtigsten Etappenrennen des Radsports übernahm. Und weil er es sich gestern, auf der vorletzten Etappe der Tour de France 2019, nicht mehr nehmen ließ, rollt Egan Bernal als erster Kolumbianer als Toursieger nach Paris. Denn traditionell wird der Spitzenreiter auf der „Spazierfahrt“auf dem Schlussabschnitt nicht mehr attackiert. Die vorletzte Etappe war nach weiteren Unwetterwarnungen und Erdrutschen auf einen 59-KilometerSprint geschrumpft. Davon führte freilich die Hälfte steil bergauf nach Val Thorens in den Alpen, wo sich Vincenzo Nibali den Tagessieg holte.
Der große Verlierer ist Julian Alaphilippe. Der in seiner Heimrundfahrt 14 Tage das Maillot jaune behaupten konnte, sich in die Herzen seiner französischen Landsleute fuhr, aber auf dem 19. Teilstück, bei
zum Teil apokalyptischen Szenen, das Führungstrikot abgeben musste und gestern noch einmal einbrach (+3:17). Schon auf der Abfahrt vom Col de l’Iseran wurden die Fahrer angewiesen, das Tempo zu verringern, alles wirkte verwirrend. Beim Anstieg hatte es nicht einmal geregnet, als auf der anderen Seite von Val d’Isere die Welt unterging. Nach Hagelstürmen und Erdrutschen wurde die Etappe abgebrochen. Es gab keinen Sieger, nur Zeiten für die Gesamtwertung. Und die wurden auf dem Col de l’Iseran genommen, wo Bernal unwiderstehlich attackiert hatte und dem Feld entscheidend enteilte.
Bereits gestern gratulierte Vorjahressieger Geraint Thomas (2./+1:11) seinem IneosTeamkollegen zum Toursieg, den diese neue Star-Equipe als Nachfolge-Team von Sky schon auf der Homepage anzukündigen wusste:
„Egan Bernal – ein neuer Superstar. Ein junger Kolumbianer mit unglaublicher Kraft und Ausgeglichenheit. Für ihn ist erst der Himmel das Limit. Und seine Fortschritte 2019 werden faszinierend sein.“
Fast schon hellseherische Aussagen. 22 Jahre ist der in Bogota geborene Kolumbianer erst alt, mit 1,70 Metern Größe und einem Gewicht von 60 kg verfügt er über jockeyhafte Körpermaße. Dabei stieg er nach einer Mountainbike-Karriere (WM-Bronze und -Silber bei den Junioren) erst 2016 in den Straßenrennsport ein, fuhr zwei Jahre im italienischen Androni-Team, ehe er 2018 zu Sky/Ineos wechselte. Heuer ging sein Stern endgültig am Himmel des Radsports auf. Gesamtsieg bei Paris-Nizza und bei der Tour de Suisse. Heute strahlt er in Gelb auf dem Pariser Champs-Élysées ...