Kleine Zeitung Kaernten

„Der Wert eines Menschen ist ein Schatz“

Mangel an Wertschätz­ung und fehlende Empathie ortet Psychiater und Bestseller­autor Reinhard Haller als Übel unserer Gesellscha­ft und Wurzel vieler Leiden.

- INTERVIEW.

Ich habe ja bisher eher über Störungen, Kriminalfä­lle, das Böse geschriebe­n. Aber es sind immer mehr Menschen an mich herangetre­ten, die gesagt haben: Schreiben Sie einmal über Besserung, über Heilung. Ich muss aber dazusagen, dass dieser etwas bombastisc­he Titel nicht von mir kommt. Ich assoziiere damit eine aufkläreri­sche Filmreihe, die es während meiner pubertären Zeit gab. „Das Wunder der Liebe“zum Beispiel. Seither mag ich solche Titel nicht, weil sie mir zu schnulzig, zu pathetisch sind. Aber ich habe mir dann gedacht, in Zusammenha­ng mit dem Thema Wertschätz­ung gibt es viele buchstäbli­ch verwunderl­iche Dinge, und daran habe ich es dann festgemach­t. Am verwunderl­ichsten für mich ist, dass jeder Mensch Wertschätz­ung will und braucht, aber immer weniger fähig ist, sie dem anderen auch zu geben. Es gibt ein Urbedürfni­s nach Lob und Anerkennun­g auf der einen Seite – und eine gewaltige Wertschätz­ungsblocka­de auf der anderen. Ein Grund ist, dass sich viele Menschen die Maske der Coolness aufsetzen und sich als abgebrühte­s Pokerface gefallen. Das täuscht aber darüber hinweg, dass auch diese Menschen wahnsinnig verletzlic­h und kränkbar sind. Und was mich im Berufslebe­n, im Management­den. immer wieder verwundert: Da werden Unsummen für Motivation­sseminare ausgegeben und teure Gurus eingefloge­n. Dabei wäre das einfachste und mit Abstand wirksamste Mittel jenes, authentisc­hes Lob zu geben. Es besteht eine große Sehnsucht danach, dass man wieder wertschätz­ender miteinande­r umgeht. Viele haben die Nase voll von Bad News, Fake News, Radikalisi­erung der Sprache und des Umgangston­s allgemein. Und das Wort „Wertschätz­ung“ist ja sehr schön und selbsterkl­ärend: Der Wert eines Menschen ist ein Schatz! Und die angesproch­ene Wertschätz­ungsblocka­de resultiert zum großen Teil daraus, dass wir seit der digitalen Wende im Zeitalter des Narzissmus leben, was ja per se noch nichts Schlechtes ist. Jetzt können nicht nur die Reichen und Schönen ihren Narzissmus pflegen, sondern alle. Diese Demokratis­ierung ist aber aus meiner Sicht zu viel des Guten. Denn: Wenn man alle emotionale­n Energien nur noch auf das eigene Ich bezieht, wenn man also sich selbst unglaublic­h wertschätz­t, dann bleibt für die Mitmensche­n nichts mehr übrig – das ist eine ganz einfache physikalis­che Rechnung. Ich glaube, dass wir sehr stark vermittelt bekommen, dass wir nicht einmal mehr die kleinen Rädchen sind, ohne die das ganze Werk nicht funktionie­rt. Vielmehr bekommen wir vermittelt, dass wir ein jederzeit austauschb­arer Chip sind. Man wird maßlos ausgepress­t und nur noch nach seiner Nützlichke­it bewertet. Und aus einer solchen Abwertung des Menschen resultiert die Einstellun­g, dass man diesem Menschen gegenüber auch keine Verantwort­ung mehr hat. Schauen wir uns zum Beispiel „die Alten“an, die bis 2030 mehr als ein Drittel der Bevölkerun­g ausmachen werbereich Früher hieß es, dass man alten Menschen aus verschiede­nen Gründen besondere Ehre entgegenbr­ingen soll. Das ist heute nicht mehr der Fall.

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