Nur eine einzige Stimme hält Johnson im Amt
Eine kleine Unterhaus-Nachwahl führt zu einem großen Rückschlag für den britischen Premierminister.
Zehn Tage nach dem dramatischen Regierungswechsel in London findet sich der neue Tory-Premier Boris Johnson bereits in einer verzwickten Lage. Die Unterhaus-Nachwahl dieser Woche, im Wahlkreis Brecon in Wales, hat dazu geführt, dass jetzt nur noch eine einzige Abgeordneten-Stimme ihn in London an der Regierung hält.
Mit dem Verlust des örtlichen Tory-Mandats gerät Johnson, sobald das Parlament im September aus der Sommerpause zurückkehrt, in ernste Schwierigkeiten. Selbst mit den zehn Stimmen der nordirischen Unionisten bleibt ihm zur Durchsetzung seiner Brexit-Pläne nur noch die kleinstmögliche Mehrheit im Parlament. Damit wächst die Chance der Gegner eines harten, eines vertragslosen Austritts aus der EU in Westminster, der Regierung in letzter Minute noch in den Arm zu fallen. Auf dieser brüchigen Basis dürfte es Johnson schwerfallen, einen „No Deal“-Brexit durchs Parlament zu zwingen.
Ganz so katastrophal wie befürchtet hat Johnsons Partei in Brecon allerdings auch nicht abgeschnitten. Sie verfehlte die Rückeroberung dieses Wahlkreises in Wales nur knapp. In den wenigen Tagen,
die Johnson nun an der Regierungsspitze ist, ist es ihm bereits gelungen, Wähler zurückzugewinnen, die unter Theresa May zu Nigel Farages Brexit-Partei abgewandert waren. Kein Wunder, dass man in No 10 Downing Street parlamentarische Neuwahlen noch für dieses Jahr erwägt.
Anders als May gibt Johnson eine klare Richtung vor. Am 31. Oktober wird, egal zu welchem Preis, aus der EU ausgetreten. Die Entschlossenheit allein imponiert Wählern, die den Brexit nun endlich „vom Tisch haben“wollen. Und Johnsons Minister folgen ihrem Boss aufs Wort.
Kein Wunder, dass Labour bei der Nachwahl dieser Woche erneut dramatisch absackte. Solange Corbyn verhindert, dass sich seine Partei unzweideutig gegen den Brexit stellt und für ein neues Referendum zu Felde zieht, wandern ihre Wähler weiter, wie in Brecon, zu den proeuropäischen Liberaldemokraten ab. Diese Schwäche der Opposition nutzt Boris Johnson. Im Augenblick sucht der neue ToryRegierungschef, sich nach Kräften eine neue Basis in der Wählerschaft zu zimmern – um für den Tag gerüstet zu sein, an dem die alte parlamentarische Basis nicht mehr hält.