Das Slow Food für den Kopf
Ausschließlich E-Paper halten Zeitungsauflagen auf konstanter Höhe. Die digitale Gestaltung braucht mehr Know-how von Blattmachern als Responsive Webdesign.
Der Relaunch, also die Neugestaltung eines bewährten digitalen Angebots, unterliegt heute vor allem dem Anspruch von Responsive Webdesign. In der Theorie sorgt dies für die Anpassung des Erscheinungsbilds auf das jeweils verwendete Endgerät. In der Praxis jedoch diktieren die Nutzungsgewohnheiten am Smartphone die Veränderungen der Ansichten. Das daraus entstehende bildgesteuerte Nebeneinander von scheinbar Gleichwertigem garantiert schnellstmögliche Themenwechsel mit hohem Unterhaltungswert. Doch es bedeutet eine weitere Niederlage von Nachrichtenleistung gegen Info-Oberflächlichkeit. Diese Schlappe resultiert aus dem mangelnden Selbstbewusstsein traditioneller Inhaltsmacher im Wettbewerb mit Technologie auf der Überholspur. Dabei bietet ausgerechnet das altmodischste aller Informationsmedien Indizien für eine Sehnsucht des Publikums nach der guten alten Ordnung.
E-Paper, die digitalen Inkarnationen von Printprodukten, erleben einen Boom. Je mehr ein Verlag auf sie setzt, desto weniger gehen die Stückzahlen seiner Titel zurück. Das beweisen schon lange die Daten der österreichischen Auflagenkontrolle ÖAK und soeben auch jene ihres deutschen Pendants ivw: „Die Zeit“und „Der Spiegel“erzielen sogar leichte Gesamtsteigerungen – aber ausschließlich
infolge enormer E-Paper-Zuwächse. Hierzulande gilt dies auch für die Kleine Zeitung, deren Auflage nach wie vor so hoch oder sogar noch höher ist als vor zehn und 15 Jahren – mittlerweile aber einen Anteil von neun Prozent Bildschirmausgaben beinhaltet.
Das bedeutet keine Entwarnung für das Geschäftsmodell. Denn die digitalen Angebote bringen viel weniger Geld als die papierenen. Doch darin liegt eine Aufforderung an die Blattmacher: Wenn E-Paper deutlicher zulegen als originäre Web-Angebote, dann wegen ihrer überlegenen Informationsleistung. Sie sind übersichtlicher und bieten bessere Orientierung. Sie begrenzen Artikellängen und differenzieren deutlicher zwischen den Textsorten. Sie setzen auf eine klar erkennbare Hierarchie der Wichtigkeit statt das gleichförmige Nebeneinander zum Scrollen.
Responsive Webdesign gehorcht den Anforderungen einer tempomaximierenden Technologie. E-Paper hingegen erfüllen den Anspruch auf zugleich ganzheitliche wie kompakte Information. Dieses „Erklär mir die Welt!“wird umso wichtiger, wenn die Technik ausgereizt wirkt. Neben dem geistigen Junk Food der Videoclip-Ära bleiben viele Web-Regale mit Slow Food für den Kopf. Wem es gelingt, diese Trends im digitalen Design zu verknüpfen, der wird Erfolg haben.