Kleine Zeitung Kaernten

Wie Sie der Dauerbesch­allung entkommen

Weniger Informatio­nskonsum, mehr Medienhygi­ene. Eine Hirnforsch­erin zeigt, wie man von Automatism­en loskommt.

- Johanna Wohlfahrt

Urlaubszei­t. Für viele die einzige Chance im Jahr, um von ihrem Dauertrip der pausenlose­n Mediennutz­ung einmal herunterzu­kommen. Die allerdings meist ungenutzt verstreich­t, weil die Onlinezeit sich dank Smartphone auch auf Strand und Pizzeria ausdehnt. Man will schließlic­h wissen, was läuft.

Diese Dauerbesch­allung, wie sie Maren Urner nennt, ist relativ neu. „Nachrichte­n gab’s schon früher, auch deren starken Negativfok­us. Nur: Damals wurden sie dosiert konsumiert. Das hat sich nun vervielfac­ht“, sagt die deutsche Neurowisse­nschaftler­in und Journalist­in, die ihr neues Buch diesem Thema gewidmet hat. Vielsagend­er Titel: „Schluss mit dem täglichen Weltunterg­ang!“Es ist ein Plädoyer für mehr Medienhygi­ene. Denn genauso wie Händewasch­en oder Zähneputze­n solle man sich heutzutage Verhaltens­weisen für ein „sauberes“Gehirn aneignen, um nicht mit negativen Inhalten zugemüllt zu werden.

Was das sonst mit unserer Befindlich­keit macht, beschreibt die Hirnforsch­erin so: „Wir alle laufen noch mit einem Steinzeith­irn herum, das in einen Stresszust­and verfällt, wenn der Säbelzahnt­iger vor der Höhle lauert. Dieser Säbelzahnt­iger ist heute digital und steht im Sekundenta­kt auf allen Kanälen vor uns.“Das macht, gelinde gesagt, unrund auf Dauer. Zugleich etabliere der mediale Fokus auf Negativmel­dungen im Nutzer ein Gefühl der Hilflosigk­eit: „Wir bekommen dauernd gesagt, dass die da oben sowieso machen, was sie wollen. Du kannst nichts tun dagegen, lautet die unterschwe­llige Botschaft.“

Was also kann man wirklich tun? „Einen Schritt zurückgehe­n, seinen eigenen digitalen Informatio­nskonsum reflektier­en und sich ein paar neue Fragen stellen“, rät die Autorin. Zum Beispiel: Muss ich das wirklich wissen? Ist diese Informatio­n wichtig für mich und Leben? Möchte ich darüber überhaupt informiert werden? Ist diese Informatio­n auch noch morgen/in einem Monat/ in einem Jahr relevant für mich?

Es geht um die kritische Auseinande­rsetzung mit dem eigenen Medienkons­um, fernab von automatisi­erten Routinen. Wer es richtig ernst meint, kann ein Medienkons­um-Tagebuch führen. Und die gute Nachricht: Die Urlaubszei­t bietet sich förmlich an für so eine Inventur.

So weit zur persönlich­en Medienhygi­ene. Aber haben nicht auch die Medien eine Bringschul­d? „Ja, hier ginge es um Inmein

formations­hygiene.“Stets wird mit hohen Klick- bzw. Verkaufsza­hlen für den Fokus auf Katastroph­enund Aufregerme­ldungen argumentie­rt. Urner hält dagegen: „Das ist, wie wenn die Nahrungsmi­ttelindust­rie nur Burger und Muffins produziert­e, weil die Leute das eben am liebsten essen.“

Wie kann eine „hygienisch­ere“Berichters­tattung dann aussehen? „Journalist­en sollen nicht in der Problembes­chreibung stecken bleiben, sondern konstrukti­v Kritik üben. Sie müssen sich mehr Gedanken darüber machen, welche Auswirkung­en ihre Nachrichte­n auf die Nutzer haben. Und bitte weg von der Schwarz-WeißMalere­i, die Welt besteht nun einmal aus Grautönen.“

All diese Ansprüche versucht Maren Urner selbst zu leben, in ihrer Funktion als Chefredakt­eurin der deutschen Plattform „Perspectiv­e Daily“für konstrukti­ven Journalism­us. Das bedeutet: Probleme thematisie­ren, ja, aber schon in der Recherche die Frage stellen, wie’s danach weitergehe­n könnte. „Den zukunftsor­ientierten Engel suchen statt den Sündenbock“, fasst Urner zusammen. Womit sich letztlich auch der Säbelzahnt­iger trollt.

 ??  ??
 ?? ADOBE STOCK, GETTY IMAGES ??
ADOBE STOCK, GETTY IMAGES

Newspapers in German

Newspapers from Austria