Wie Sie der Dauerbeschallung entkommen
Weniger Informationskonsum, mehr Medienhygiene. Eine Hirnforscherin zeigt, wie man von Automatismen loskommt.
Urlaubszeit. Für viele die einzige Chance im Jahr, um von ihrem Dauertrip der pausenlosen Mediennutzung einmal herunterzukommen. Die allerdings meist ungenutzt verstreicht, weil die Onlinezeit sich dank Smartphone auch auf Strand und Pizzeria ausdehnt. Man will schließlich wissen, was läuft.
Diese Dauerbeschallung, wie sie Maren Urner nennt, ist relativ neu. „Nachrichten gab’s schon früher, auch deren starken Negativfokus. Nur: Damals wurden sie dosiert konsumiert. Das hat sich nun vervielfacht“, sagt die deutsche Neurowissenschaftlerin und Journalistin, die ihr neues Buch diesem Thema gewidmet hat. Vielsagender Titel: „Schluss mit dem täglichen Weltuntergang!“Es ist ein Plädoyer für mehr Medienhygiene. Denn genauso wie Händewaschen oder Zähneputzen solle man sich heutzutage Verhaltensweisen für ein „sauberes“Gehirn aneignen, um nicht mit negativen Inhalten zugemüllt zu werden.
Was das sonst mit unserer Befindlichkeit macht, beschreibt die Hirnforscherin so: „Wir alle laufen noch mit einem Steinzeithirn herum, das in einen Stresszustand verfällt, wenn der Säbelzahntiger vor der Höhle lauert. Dieser Säbelzahntiger ist heute digital und steht im Sekundentakt auf allen Kanälen vor uns.“Das macht, gelinde gesagt, unrund auf Dauer. Zugleich etabliere der mediale Fokus auf Negativmeldungen im Nutzer ein Gefühl der Hilflosigkeit: „Wir bekommen dauernd gesagt, dass die da oben sowieso machen, was sie wollen. Du kannst nichts tun dagegen, lautet die unterschwellige Botschaft.“
Was also kann man wirklich tun? „Einen Schritt zurückgehen, seinen eigenen digitalen Informationskonsum reflektieren und sich ein paar neue Fragen stellen“, rät die Autorin. Zum Beispiel: Muss ich das wirklich wissen? Ist diese Information wichtig für mich und Leben? Möchte ich darüber überhaupt informiert werden? Ist diese Information auch noch morgen/in einem Monat/ in einem Jahr relevant für mich?
Es geht um die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Medienkonsum, fernab von automatisierten Routinen. Wer es richtig ernst meint, kann ein Medienkonsum-Tagebuch führen. Und die gute Nachricht: Die Urlaubszeit bietet sich förmlich an für so eine Inventur.
So weit zur persönlichen Medienhygiene. Aber haben nicht auch die Medien eine Bringschuld? „Ja, hier ginge es um Inmein
formationshygiene.“Stets wird mit hohen Klick- bzw. Verkaufszahlen für den Fokus auf Katastrophenund Aufregermeldungen argumentiert. Urner hält dagegen: „Das ist, wie wenn die Nahrungsmittelindustrie nur Burger und Muffins produzierte, weil die Leute das eben am liebsten essen.“
Wie kann eine „hygienischere“Berichterstattung dann aussehen? „Journalisten sollen nicht in der Problembeschreibung stecken bleiben, sondern konstruktiv Kritik üben. Sie müssen sich mehr Gedanken darüber machen, welche Auswirkungen ihre Nachrichten auf die Nutzer haben. Und bitte weg von der Schwarz-WeißMalerei, die Welt besteht nun einmal aus Grautönen.“
All diese Ansprüche versucht Maren Urner selbst zu leben, in ihrer Funktion als Chefredakteurin der deutschen Plattform „Perspective Daily“für konstruktiven Journalismus. Das bedeutet: Probleme thematisieren, ja, aber schon in der Recherche die Frage stellen, wie’s danach weitergehen könnte. „Den zukunftsorientierten Engel suchen statt den Sündenbock“, fasst Urner zusammen. Womit sich letztlich auch der Säbelzahntiger trollt.