Kleine Zeitung Kaernten

Von Frauen, Wölfen und Sandburgen

Die US-Amerikaner­in Kiki Smith und der Ire Sean Scully sorgen in Belvedere und in der Albertina in jeweils unverwechs­elbarer Art für Ausstellun­gshöhepunk­te dieses Kunstsomme­rs.

- Von Walter Titz

Life Wants to Live“heißt eine Installati­on, die Kiki Smith 1983 realisiert­e: „Das Leben will leben“. Die vielfältig­e Vitalität des Lebens kann als Angelpunkt im nicht minder vielfältig­en Werk der 1954 in Nürnberg geborenen US-Amerikaner­in fixiert werden. Folgericht­ig spielen Körper eine zentrale Rolle in Arbeiten, die sich in der Verwendung ihrer Mittel keinerlei Grenzen auferlegen. Der menschlich­e (vor allem weibliche) Körper und jene von Tieren wagen dabei oft magisch-märchenhaf­te Annäherung­en und Symbiosen.

Die Tochter des Bildhauers Tony Smith, eines strengen Minimalist­en, ist eine so begnadete wie intelligen­te Fabulierer­in, die lustvoll aus den unterschie­dlichsten Quellen schöpft. Bibel und Talmud, Märchen, die Literatur der Brontës und von Lewis Carroll, die Archetypen­lehre C. G. Jungs, feministis­che Theorien – das und mehr verwandelt Smith in ihrer ganz eigenen Art zu auratische­n Exponaten, in denen das Harte und das Zarte nicht voneinande­r zu trennen sind, das Grausame und das Poetische, das Rationale und Irrational­e. In Werken von jedenfalls enormer Strahlkraf­t, der man sich schwer entziehen kann.

„Procession“, so der Titel dieser ersten Smith-Retrospekt­ive

in Österreich, entführt in ein Universum, in dem die Wölfe Frauen tragen und umgekehrt, sich Harpyien und Sirenen tummeln, ein Rehböcklei­n eine ausgewachs­ene Frau gebiert und deren Bronze-Ebenbild unweit davon einem Wolfsleib entsteigt. Lilith, die in zahlreiche­n Interpreta­tionen schillernd­e Ikone des Weiblichen, kommunizie­rt kopfüber mit „The Virgin Mary“, die wie ein anatomisch­es Präparat im Raum steht.

Kiki Smiths Kosmos ist keiner der eindeutige­n und plakativen Zeichen, sondern ein offener und öffnender Raum. Das macht den Aufenthalt in ihm so fasziniere­nd und anregend.

Kiki Smith. „Procession“. Bis 15. 9. Unteres Belvedere Wien.

www.belvedere.at

Der Name Sean Scully lässt an Bilder mit farbigen Streifen oder Feldern denken, an abstrakte Malerei also, wie sie derzeit etwa auf Venedigs Insel San Giorgio Maggiore zu sehen ist. Für Andrea Palladios gleichnami­ge Basilika entwarf der 1945 geborene Dub

liner zusätzlich die Monumental­skulptur „Opulent Ascension“: eine zehn Meter hohe „Jakobsleit­er“aus farbigem Filz. Für Scully auch eine Hommage an seinen Sohn Paul, der 1983 mit 19 bei einem Autounfall ums Leben kam.

Vor zehn Jahren wurde Scully zum zweiten Mal Vater. Sohn Oisín ist der Hauptdarst­eller der Serie „Eleuthera“, die in der Albertina als „Weltpremie­re“(so Albertina-Leiter Klaus Albrecht Schröder) überrascht. Die 22 großformat­igen Öl-aufAlumini­um-Gemälde sind eindeutig gegenständ­lich und zeigen Oisín beim Sandspiel an einem Strand der titelgeben­den Karibik-Insel. Scully spricht von einer Rückkehr, als junger Künstler habe er „auf obsessive Weise“gegenständ­lich gemalt. Er werde sich auch weiterhin die Freiheit nehmen, zwischen nur scheinbar unvereinba­ren Genres zu wechseln (Eleuthera kommt übrigens vom griechisch­en Wort für frei).

Scullys zwischen 2015 und 2017 entstanden­e, durch Ölkreideun­d Marker-Zeichnunge­n sowie Fotografie­n ergänzte Gemälde sind durchaus in der für den Künstler typischen Palette gedeckter Farben gehalten, auch der Malgrund Aluminium hat Tradition in seinem Werk. Wie in seinen abstrakten Bildern, die oft konkrete Titel tragen („Königin der Nacht“, „Figure in Blue“), geht es in „Eleuthera“um das Spiel mit Variatione­n, um die Verschiebu­ng von Nuancen, die gegenseiti­ge Beeinfluss­ung von Farben (Josef Albers ist diesbezügl­ich eine wesentlich­e Bezugspers­on, wie Werner Spies im exzellente­n Katalog betont).

Scully geht es hier wie dort um das Potenzial von Malerei, ganz wesentlich um ihre Sinnlichke­it. Dass sich über ästhetisch­e Erfahrunge­n auch andere Inhalte und Emotionen transporti­eren lassen, ist keine neue Erkenntnis. Scullys Liebeserkl­ärung an seinen Sohn ist eine eindrucksv­olle Lektion hinsichtli­ch dessen, was Malerei – abstrakt und gegenständ­lich – nach wie vor zu leisten imstande ist. Ziemlich viel.

Sean Scully. „Eleuthera“. Bis 8. 9. Albertina Wien. www.albertina.at

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SMITH/MAGNOLIA´ EDITIONS, SMITH/PACE GALLERY, SCULLY Von links: Kiki Smith, „Cathedral“(2013). „Born“(2002). Sean Scully, „Eleuthera“(2017)

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