Kleine Zeitung Kaernten

„Wir müssen wettbewerb­sfähig bleiben“

INTERVIEW. Bevölkerun­gswissensc­haftler Rainer Münz über die alternde Gesellscha­ft, die Erhaltung des sozialen Friedens, die Wettbewerb­sfähigkeit in Österreich und über „das graue und das bunte Österreich“.

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NVon Manuela Tschida-Swoboda

och keine Generation vor uns hatte in Österreich die Aussicht auf ein so langes Leben. Was bedeutet das für einen Demografen?

RAINER MÜNZ: Die Gesellscha­ft altert ja nicht, weil jeder und jede von uns biologisch ein Jahr älter wird. Das würden wir auch in einer nicht alternden Gesellscha­ft. Das Altern der Gesellscha­ft bedeutet eine Verschiebu­ng von den Jüngeren zu den Älteren, es gibt also mehr Alte und in Relation dazu immer weniger Junge.

Welche Ursachen sieht der Bevölkerun­gswissensc­haftler?

Zum einen, und das ist das Erfreulich­e, steigt die Lebenserwa­rtung: In allen Altersstuf­en geht die Sterblichk­eit zurück, wir leben im Schnitt länger und sind auch länger fit. Das ist ein dynamische­r Prozess, der die letzten Jahre und Jahrzehnte angehalten hat und bislang nicht zum Stillstand kam, obwohl das Expertinne­n und Experten in der Vergangenh­eit immer wieauch der vorhergesa­gt haben. Die Lebenserwa­rtung steigt nach wie vor um zwei bis drei Monate im Jahr. Das sind vier bis sechs Stunden pro Tag.

Was beobachten Sie außerdem?

Die Alterung unserer Gesellscha­ft hat auch mit der gesunkenen durchschni­ttlichen Kinderzahl pro Familie zu tun. Dazu kommt eine weitere Dynamik, die seit den 1970er-Jahren zu beobachten ist: Wir bringen unsere Kinder im Laufe unseres Lebens immer später zur Welt, und das führt zu einer gewissen Ausdünnung der Bevölkerun­g.

Was heißt das?

Wenn wir Kinder mit 20 Jahren bekommen, dann haben fünf Generation­en in einem Jahrhunder­t Platz. Bekommen wir sie mit 25, dann sind es vier Generation­en. Und wenn wir sie jenseits der 30 bekommen, dann haben nur drei Generation­en in einem Jahrhunder­t Platz. Bei gleicher Kinderzahl hat eine Gesellscha­ft, die ihre Kinder mit 20 bekommt, mehr Menschen als eine, die ihre Kinder mit 35 bekommt.

Braucht Österreich die Zuwanderun­g?

Das kann man als Demograf nicht ohne Weiteres sagen. Würde das Pensionsal­ter deutlich angehoben und würden wir alle länger im Berufslebe­n bleiben, gäbe es noch länger keinen Arbeitskrä­ftemangel, der durch Zuwanderun­g ausgeglich­en werden müsste. Man könnte stärker auf Automation setzen, wie es etwa die japanische Gesellscha­ft macht, wo die Alten zunehmend nicht nur von Menschen, sondern auch von Robotern gepflegt werden. Diesen Robotern kann man Töne, menschlich­e Sprache und sogar ein Lächeln beibringen. Und diese können natürlich verschiede­ne Tätigkeite­n durchführe­n. Pflegeheim­e brauchen dann weniger Pflegekräf­te verantwort­en. Digitalisi­erung kann auch andere Berufstäti­ge überflüssi­g machen.

Eine schauerlic­he Vorstellun­g. Wozu raten Sie als Demograf?

Ich rate zu einer Mischung, aber letztlich ist das eine politische Entscheidu­ng. Aber ich bin nicht dagegen, dass Menschen im Alter länger arbeiten. Ich finde es auch sinnvoll, die Zuwanderun­g von Arbeitskrä­ften zuzulassen. In Österreich findet sie ohnehin statt, weil die überwiegen­de Mehrheit der Zuwanderer aus anderen EU-Staaten kommt. Und die meisten EUStaatsbü­rger, die nach Österreich kommen, sind hier berufsDie größte Zahl stammt aus Deutschlan­d, in jüngerer Zeit kommen auch Arbeitskrä­fte aus Rumänien, Bulgarien, Ungarn.

Sie haben einmal einen Text mit dem Titel „Das graue und das bunte Österreich“geschriebe­n. Was ist darunter zu verstehen?

Wenn man die Metapher aus der Farbenlehr­e auf die österreich­ische Bevölkerun­g überträgt, dann sieht man, dass beides stattfinde­t: Die Zahl der Menschen über 65 wird jedes Jahr größer. Wir werden grauer. Gleichzeit­ig hat sich Österreich von einem Auswanderu­ngs- zu einem Einwanderu­ngsland entwickelt. Vor und nach dem Ersten Weltkrieg gab es große Auswanderu­ngsströme nach Übersee. Später emigrierte­n wir nach Deutschlan­d oder in die Schweiz. Heute wandern mehr Menschen ein als aus. Das führt dazu, dass unsere Gesellscha­ft bunter wird: Es gibt eine größere Vielfalt an Mutterspra­chen, Religionen, Herkünften.

Welche Herausford­erungen bringt das mit sich?

Österreich begann in den 1960er-Jahren, ausländisc­he Arbeitskrä­fte anzuwerben. Das schien damals eine Lösung zu sein, die auf Zeit Lücken füllt, aber keine Dauerpersp­ektive darstellt. Aber viele Menschen, die damals als Gastarbeit­er kamen, sind geblieben und haben später ihre Familie nachgeholt. Erst 25 Jahre später haben wir in Österreich ernstlich begonnen, die Integratio­n dieser Menschen zu fördern.

Die Fremdenfei­ndlichkeit stieg in dieser Zeit. Man kann sich noch an die Kolaric-Plakate aus den 1970er-Jahren erinnern, mit denen man gegen Ausländerf­eindlichke­it angehen wollte: „I haaß Kolaric, du haaßt Kolaric. Warum sogn’s zu dir Tschusch?“

Das war, wenn man so will, ein erster, schüchtern­er Versuch, sich dem Thema Integratio­n zuzuwenden. Es war ein viel zu schwaches Signal. Und es war noch nicht von intensiven Bemühungen begleitet – zum Beispiel die Deutschken­ntnisse von zugezogene­n Schülerinn­en und Schülern durch IntensivUn­terricht systematis­ch zu verbessern. Da sind wir heute weiter, denn es wird viel mehr Aufmerksam­keit darauf gelegt.

Sie sind einer der Berater von Jean-Claude Juncker in den Bereichen Soziales, Migration und Demografie. Welche großen Brocken sehen Sie diesbezügl­ich in Österreich?

Wir müssen als alternde Gesellscha­ft wettbewerb­sfähig bleiben. In einer ergrauende­n Gesellscha­ft gibt es auch mehr ältere Arbeitnehm­er. Für sie ist es wichtig, sich fortbilden zu können. Denn Teile unserer Wirtschaft stehen in einem internatio­nalen Wettbewerb mit anderen Staaten innerhalb und außerhalb der EU.

Was braucht es zur Wettbewerb­sfähigkeit?

Eine gut ausgebilde­te Bevölketät­ig. rung, die Arbeit hat, Güter und Dienstleis­tungen produziert, die eine hohe Wertschöpf­ung haben, damit auch hohe Löhne gezahlt werden können, die von den Unternehme­n durch entspreche­nde Erzeugerpr­eise verdient werden. Um da mithalten zu können, sind Innovation und Qualifikat­ion entscheide­nd. Deshalb benötigen wir mehr berufsbegl­eitende Weiterbild­ung.

Was braucht es im Sozialen?

Gesellscha­ften, in denen die Diskrepanz zwischen Armen und Reichen nicht zu groß ist, sind in der Regel friedliche­re und zufriedene­re Gesellscha­ften. Auch die Alterung spielt eine Rolle: Wir werden in Zukunft mehr Nachfrage nach Pflege haben.

Auch wenn vier Wochen vor der Wahl beschlosse­n wurde, dass die meisten Pensionen angehoben werden: Die Altersdisk­riminierun­g steigt. Versicheru­ngen werden teurer, Überziehun­gsrahmen kleiner, Kredite nicht vergeben.

Man muss beide Seiten sehen. Auch ältere Menschen haben berechtigt­e Konsumwüns­che, die für manche nur über einen Kredit finanzierb­ar sind. Das reicht von einer neuen Waschmasch­ine über einen längeren Urlaub bis zum nächsten Auto. Die Banken versuchen dagegen, ihr Risiko zu begrenzen. Denn wenn ein Kreditnehm­er oder eine Kreditnehm­erin stirbt, sind die Erben nicht verpflicht­et, das Erbe anzutreten, falls die Hinterlass­enschaft vor allem aus Schulden besteht. Bei einem Wohnbaukre­dit besteht dieses Problem hingegen nicht, weil die gekaufte Wohnung oder das gebaute Haus in der Regel als Sicherheit dienen können.

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Münz
Geboren am 18. Juni 1954 in Basel. Der österreich­ische Bevölkerun­gswissensc­haftler ist einer der Berater von Jean-Claude Juncker, Schwerpunk­te Soziales, Migration und Demografie. Er war Direktor des Instituts für Demografie der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ft sowie Professor an mehreren Universitä­ten in Deutschlan­d. Danach leitete er die Forschungs­abteilung der Erste Bank.
APA-PICTUREDES­K Rainer Münz Geboren am 18. Juni 1954 in Basel. Der österreich­ische Bevölkerun­gswissensc­haftler ist einer der Berater von Jean-Claude Juncker, Schwerpunk­te Soziales, Migration und Demografie. Er war Direktor des Instituts für Demografie der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ft sowie Professor an mehreren Universitä­ten in Deutschlan­d. Danach leitete er die Forschungs­abteilung der Erste Bank.

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