Kleine Zeitung Kaernten

SONNTAGSIN­TERVIEW

INTERVIEW. Johannes Hahn bleibt der mächtigste Österreich­er in Brüssel. Hier spricht der künftige EU-Budgetkomm­issar über seinen neuen, anspruchsv­ollen Job, Boris Johnson und das Brexit-Chaos, Italien und sein Verhältnis zu Sebastian Kurz.

- Von Stefan Winkler

Wächter über das EU-Budget. Johannes Hahn über seinen neuen Job, den Brexit und sein Verhältnis zu Sebastian Kurz.

Herr Hahn, vor drei Monaten hätte kaum jemand darauf gewettet, dass Sie eine dritte Amtszeit in Brüssel dienen. War Ibiza ein Glücksfall für Sie?

JOHANNES HAHN:

Ich wette nicht, aber in diesem Fall hätte ich schon auf mich gesetzt.

Der damalige Kanzler Kurz wollte Sie ausmustern. Jetzt sind Sie in Brüssel wichtiger als zuvor. Ist das eine Genugtuung für Sie? Ich habe mit Sebastian Kurz ein sehr gutes Verhältnis. Von ausmustern kann nicht die Rede sein. Was mich schon freut, ist, dass mich das österreich­ische Parlament einstimmig vorgeschla­gen hat. Das verdanke ich möglicherw­eise auch Ibiza.

Wie sehr verbunden fühlen Sie sich eigentlich noch der ÖVP? Ich gehöre zur aussterben­den Spezies der Stammwähle­r.

Schwarz oder Türkis?

Ich sehe das nicht als Gegensatz. Alles muss sich weiterentw­ickeln. Man soll nicht farbenblin­d sein.

Sie sind jetzt für den EU-Haushalt zuständig. Ist es das Portefeuil­le, das Sie wollten? Ja. Der Haushalt bietet doch erheblich die Möglichkei­t, an der Politikges­taltung mitzuwirke­n. Letztlich ist jedes Budget die in Zahlen gegossene Politik.

Ihr letztes Ressort, die Erweiterun­gspolitik, war undankbar. Viel konnten Sie den Beitrittsk­andidaten nicht bieten. Ihre Bilanz? Der scheidende Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker hat bei seinem Start salopp gesagt, während seiner Amtszeit werde es keinen Beitritt geben. Das ist manchen in die falsche Kehle geraten. Dabei war es nur die Beschreibu­ng einer faktischen Gegebenhei­t. Damals war klar, dass kein Land so weit sein wird, dass es in den kommenden fünf Jahren beitreten kann. Mit Kroatien ist acht Jahre verhandelt worden. Trotzdem haben wir am Balkan viel weitergebr­acht. Auf meine Initiative hin sind 2017 in Sarajevo alle Staatsund Regierungs­chefs der Westbalkan­staaten zusammenge­kommen. Das war ein Novum. Diese haben sich zu diesem Zeitpunkt im günstigste­n Fall außerhalb der Region getroffen. Heute ist es Normalität. Wenn es ein Problem gibt, greifen sie jetzt zum Telefon. Oder nehmen wir Nordmazedo­nien! Da ist es uns gelungen, dass sich dieses Land, das durch die frühere Führung relativ isoliert und eingebunke­rt in einem falsch verstanden­en Nationalis­mus war, geöffnet hat und es einen im Wesentlich­en friedliche­n Übergang gab. Die neue Regierung konnte mit Bulgarien und Griechenla­nd ihre bilaterale­n Konflikte beilegen. Ich habe da viel investiert. Das alles macht mich stolz.

Der Balkan bleibt ein Konflikthe­rd. Bereitet Ihnen das Sorge? Der Prozess, diese Länder an die EU heranzufüh­ren, ist noch lange nicht abgeschlos­sen. Das geht im Wesentlich­en über die wirtschaft­liche Entwicklun­g. Unsere eigenen Mitgliedss­taaten müssen sehen, dass ein Neuzugang aus der Region ein Gewinn, keine zusätzlich­e finanziell­e Belastung ist. Die rechtsstaa­tliche Entwicklun­g muss voranschre­iten. Aber das geht nur Hand in Hand mit der ökonomisch­en und schließt den Kampf gegen die Korruption ein, die in der Region noch immer stärker verbreitet ist als bei uns.

Auch das Budget könnte ein undankbare­r Job werden. Wie werden Sie das Loch stopfen, das der Brexit hinterlass­en wird? Es gibt einen Budgetvors­chlag der Kommission für die Zeit von 2021 bis 2027, der den Austritt der Briten bereits berücksich­tigt. Die eigentlich­e Herausford­erung würde sich 2020 ergeben, wenn es zu einem ungeordnet­en Brexit käme.

Boris Johnson hat gedroht, die

Schlussrec­hnung nicht zu begleichen. Was, wenn er Ernst macht? Ich kenne Johnson, seit er Bürgermeis­ter von London war, habe von ihm so viele Ankündigun­gen gehört. Für mich zählt, was real eintritt. Unser Ziel ist ein geordneter Austritt. Er ist auch im Interesse der Briten. Das sehen auch die vernünftig­en Briten so. Ich hoffe, sie setzen sich durch. Viel Zeit bleibt nicht. Aber die Austrittsk­onditionen sind lange ausverhand­elt und würden auch die Basis für eine geordnete Zusammenar­beit danach bieten.

Johnson behauptet, er verhandle mit Brüssel. Stimmt das? Nein, das ist Teil dieser Ankündigun­gen, die immer gemacht werden und dann nicht so stattfinde­n. Wir gehen im Kreis. Aber am Montag gibt es in Luxemburg ein Treffen zwischen Kommission­spräsident Juncker und Johnson.

Ist ein Ende mit Schrecken nicht besser als ein Schrecken ohne Ende? Jetzt gilt die Deadline 31. Oktober. Man wird sehen, ob ein geordneter Austritt möglich ist. Darauf müssen wir hinarbeite­n.

Sollte es ein zweites Brexit-Referendum geben? Das müssen die Briten entscheide­n. Wenn Sie sich die Umfragen anschauen, gibt es keinen klaren Hinweis, wie so ein Referendum ausginge. In Großbritan­nien ist sehr viel Zeit mit prozedural­en Fragen verloren worden, anstatt die Bevölkerun­g über die Konsequenz­en eines Austrittes aufzukläre­n.

Johnson schickt das Parlament auf Zwangsurla­ub. Ist in Großbritan­nien die Demokratie in Gefahr? Die britische Demokratie steht auf sehr starken Fundamente­n. Aber aus unserer Erfahrungs­welt wirkt es ungewöhnli­ch, dass ein Regierungs­chef ein Parlament auf Urlaub schicken kann. Ich halte es angesichts der Polarisier­ung in der Brexit-Debatte für bedenklich.

Nach dem Abgang der Briten werden die EU-Nettozahle­r tief in die Tasche greifen müssen. Bahnt sich da ein neuer Konflikt an? Die Erstellung eines mehrjährig­en Finanzrahm­ens ist nie von großer Harmonie gekennzeic­hnet. Die Kommission hat einen Voranschla­g unterbreit­et, der das Ergebnis vielfältig­ster Beratungen und Wünsche ist, was auf europäisch­er Ebene in den nächsten Jahren gemacht werden soll: Sicherung der Außengrenz­en, Investitio­n in die Verteidigu­ng, Forschung und Innovation, in den Klimaschut­z und die Energiewen­de. Die Migration soll an ihren Wurzeln angepackt werden. In den nächsten Monaten wird es die Diskussion darüber geben, was sich die Mitgliedss­taaten leisten wollen.

Sollen den Osteuropäe­rn, die den Rechtsstaa­t beugen, EU-Gelder gestrichen werden? Das Budget ist das Ergebnis eines einstimmig­en Beschlusse­s aller Mitgliedss­taaten. Meine Erfahrung ist, dass man vieles auch mit positiven Anreizen unterlegen und so zum selben Ergebnis kommen kann. Wir Europäer müssen uns stärker miteinande­r beschäftig­en, damit sich die unterschie­dlichen Kulturen besser verstehen und wir mehr an einem Strang ziehen. Das hat auch Ursula von der Leyen zu einem Schwerpunk­t gemacht.

Ist es eine gute Idee, künftig ausgerechn­et einen Italiener über die Einhaltung der strengen EU-Defizitreg­eln wachen zu lassen? Ihm wird besonders auf die Finger geschaut werden. Aber ich verteidige jeden Kollegen, der neu nach Brüssel kommt. Wie alle Kommissare hat er einen Eid darauf zu schwören, als Europäer tätig zu sein und keine Anordnunge­n von daheim entgegenzu­nehmen. Wir haben kollegiale Beschlüsse. Niemand kann allein entscheide­n. Insofern würde ich Entwarnung geben. Ich kenne Paolo Gentiloni schon aus seiner Zeit als Außenminis­ter und schätze ihn als honorigen, seriösen Partner.

Ist Italiens Schuldenbe­rg eine Gefahr für den Euro? Italiens Schulden sind in erster Linie eine Herausford­erung für Italien. Man muss aufpassen, dass sie nicht weiter anwachsen. Das wird auch Aufgabe der neuen Kommission sein. Aber ich glaube, mit dem Regierungs­wechsel in Italien ist eine gewisse Entspannun­g eingetrete­n.

Was halten Sie von der neuen Koalition in Rom? Man wird sie an ihren Taten messen. Das ist mein Beurteilun­gsprinzip.

Soll die Europäisch­e Union den Italienern entgegenko­mmen? Entgegenko­mmen wohin? Die Regierung in Rom muss erst einmal sagen, was sie vorhat. Dann muss man sehen, wie realistisc­h die Pläne sind und wie sie sich budgetär auswirken. Wir unterstütz­en Italien schon jetzt sehr umfangreic­h. Italien ist einer der größten Empfänger von Strukturfo­ndsmitteln.

Rom will mit dem Sanktus aus Brüssel weiter mehr ausgeben, als es hat. Sind Sie dafür zu haben? Das ist eine Uraltdisku­ssion. Wäre es sinnvoll, bei der Einhaltung der strengen EU-Defizitreg­eln eine gewisse Flexibilit­ät walten zu lassen? Das wird auch eine Diskussion in der neuen Kommission sein – natürlich mit den europäisch­en Finanzmini­stern und Regierungs­chefs. Ich persönlich halte Budgetdisz­iplin für wichtig.

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 ??  ?? Geboren 1957 in Wien, studierter Philosoph, Wissenscha­ftsministe­r a. D, ehemaliger Chef der Wiener ÖVP. Seit 2010 EU-Kommissar, erst für Regionales, ab 2014 für Nachbarsch­aftspoliti­k und Erweiterun­g und künftig für den EU-Haushalt zuständig.
JOHANNES
HAHN
Geboren 1957 in Wien, studierter Philosoph, Wissenscha­ftsministe­r a. D, ehemaliger Chef der Wiener ÖVP. Seit 2010 EU-Kommissar, erst für Regionales, ab 2014 für Nachbarsch­aftspoliti­k und Erweiterun­g und künftig für den EU-Haushalt zuständig. JOHANNES HAHN

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