Tief oben, hoch unten
Zwei französische Meisterwerke des Jahres. Beide Romane führen in die trostlose Provinz. Sorj Chalandon wählte eine reale Katastrophe als Basis, Nicolas Mathieu zeigt Jugendliche an der Endstation Hoffnungslosigkeit.
Am Tag davor
22 Jahre alt war Sorj Chalandon, als am 27. Dezember 1974 bei einer verheerenden Bergwerkkatastrophe im nordfranzösischen Lièven insgesamt 42 Bergleute im Schacht ums Leben kamen. Ursache: Missachtung aller Sicherheitsvorschriften durch die Bergwerksleitung. Der Skandal wurde vertuscht, einige der Schuldtragenden erhielten später Orden und Auszeichnungen für ihre angeblich heroischen Rettungsversuche. Unbändige Wut habe ihn erfasst, sagte Chalandon, einer der wichtigsten und daher auch unbequemsten Systemkritiker Frankreichs.
Diese Wut begleitete ihn mehrere Jahrzehnte lang, ehe sie sich in einem in der Tat niederschmetternden Roman entlud. „Am Tag davor“ist eine Mischung aus Fakten und Fiktionen. Chalandon wollte, aus tiefem Respekt, kein Schicksal von einem der getöteten Kumpel erzählen, er ersann ein 43. Opfer, dessen Bruder alles daran setzt, um die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen. Er wird zum Gerechtigkeitsfanatiker, der immer wieder an einem viel zu mächtigen System abprallt, dessen Mitleid mit den Opfern und den Angehörigen schauderhaft schlecht geheuchelt ist.
In wahnwitzige menschliche Abgründe führt diese Höllenfahrt, vergleichbar mit Zolas Bergwerkstragödie „Germinal“. Es ist eine vielschichtige Abrechnung und eine Reise in die soziale Finsternis, bei der sich die Grenzen zwischen Wahrund deren Verdrängung immer wieder verschieben. Und es ist ein exemplarisches Werk – über Schuld, die ohne Sühne bleibt, über Familien, die an der Katastrophe zerbrechen. Bleibt nur ein Urteil: Pflichtlektüre, unbedingt.
Wie später ihre Kinder
Er stammt aus der trostlosen lothringischen Provinz, er gehörte zu jener Generation von Jugendlichen, die an der Endstation Hoffnungslosigkeit gelandet war, aber trotzdem den berechtigten Anspruch auf einiheit