Kleine Zeitung Kaernten

„Ich will den Krebs aus der Horror-Ecke holen.“

Die ehemalige Krebspatie­ntin Susanne Reinker über Klischees zum Thema Krebs, moderne Meditherap­ie und die Vorzüge des Lebens im Widerstand.

- Von Daniela Bachal

das nicht. Warum bewerten wir die Todesfälle, die jeder in seinem Bekanntenk­reis hat, höher als die Zahl der Überlebend­en?

Eine Ursache dafür orten Sie im Chemothera­pie-Klischee.

Richtig, die gängige Meinung ist ja: Krebs ist schlimm, aber Chemothera­pie ist schlimmer. Für noch schlimmer halten die Leute höchstens Folter und Tierquäler­ei. Bei Chemothera­pie haben die Menschen automatisc­h ein Bild von glatzköpfi­gen Elendsgest­alten vor sich. Daran sind auch Unmengen von Krebs-Fernsehsch­icksalen schuld. Ich komme selbst ja auch aus der Filmund Fernsehbra­nche. Wenn man im Laufe seines 40- bis

50-jährigen Zuschauerd­aseins ein paar Mal im Jahr mit der typischen Krebsfigur konfrontie­rt wird, die zuerst dynamisch auftritt und dann mit müdem Gesicht die Perücke vom Kopf zieht, dann prägt einen das. In Filmen über Krebs sterben die Menschen auch fast immer. Es hat sich noch nicht durchgeset­zt, in Filmen Menschen zu zeigen, deren Krebs heilt oder einfach chronisch ist, also manchmal Probleme macht und manchmal nicht.

Sie plädieren dafür, die Chemothera­pie in Meditherap­ie umzubenenn­en, um ihr etwas von ihrem Schrecken zu nehmen, schon weil Chemie als Gegenteil von „bio“der reinste Gruselbegr­iff

ist. Was sagen Sie jenen, die Ihnen eine Verharmlos­ung der Therapie vorwerfen?

Mir ist klar, dass sich Veteranen, die durch eine harte Chemo gegangen sind, durch diesen Vorschlag möglicherw­eise herabgeset­zt fühlen – ebenso wie jene mit einer ganz schlimmen Prognose. Gleichzeit­ig ist Krebs die einzige Krankheit, bei der die Menschen vor der Behandlung, der Chemothera­pie, fast noch mehr Angst haben als vor der Krankheit selbst. Und diese Angst macht für Krebsneuli­nge alles noch ein bisschen schlimmer. Und das, obwohl Chemos tatsächlic­h immer präziser eingesetzt werden. Es gibt Dutzende verschiede­ne Chemothera­pien, und Haarausfal­l

und Kotzbrech sind längst nicht mehr immer ein Muss. Außerdem gibt es supergute Medikament­e gegen Nebenwirku­ngen. Mag sein, dass manche Betroffene eine Umbenennun­g in Meditherap­ie als Etikettens­chwindel ansehen – aber über längere Zeit betrachtet, kann Sprache die Wahrnehmun­g verändern, und eine veränderte Wahrnehmun­g kann Verhaltens­muster ändern. Wenn zukünftige Krebsneuli­nge diese Behandlung dadurch etwas weniger angststarr angehen würden, wäre das für sie eine große Erleichter­ung.

Womit Sie auch keine Freude haben, sind regelmäßig­e Berichte über steigende Krebszahle­n.

12Jahre nach Ihrer Brustkrebs­erkrankung haben Sie jetzt den Ratgeber für Krebspatie­nten geschriebe­n, den Sie damals als Kranke so sehr vermisst haben: eine Krebsfibel mit Galgenhumo­r, wie Sie selber sagen, die diese Dreckskran­kheit, wie Sie den Krebs nennen, aus der Horrorecke herausholt. Warum braucht es so viel Abstand, bis man den richtigen Ton zum Thema Krebs

trifft?

SUSANNE REINKER: Mental, psychisch und körperlich zu einer gewissen Distanz zum Fehlverhal­ten des eigenen Körpers zu kommen, und das ist Krebs ja, das dauert halt. Krebs-Veteranen müssen erst eine Phase hinter sich bringen, in der sie nicht die Kraft haben, sich mit dem Thema auseinande­rzusetzen, es einfach nicht wollen. Weil sie wissen, wenn sie daran zurückdenk­en, kostet es Energie. Die Betroffene­n wollen zurück in ihr Leben und darauf verwenden sie auch ihre Energie. Das aufzuarbei­ten, was da schlimm gelaufen ist oder gut, das dauert. Bei mir hat es extrem lange gedauert, weil ich nach dem Jahr mit Chemothera­pie, Operation und Bestrahlun­g auch noch fünf Jahre eine Antihormon­therapie hatte. Zusätzlich hatte ich noch eine Angststöru­ng, was auch nicht hilfreich ist, wenn man Krebs hat.

Ihr Ratgeber ist für alle Krebspatie­nten gedacht. Das ist mutig, gibt es doch so viele Krebsgesch­ichten, wie es Menschen gibt. Das sehe ich anders. Was die medizinisc­he Behandlung angeht, muss jeder seinen eigenen Weg finden, damit umzugehen. Es gibt ja Hunderte verschiede­ne Krebse, und nicht den einen Krebs, wie unsere Reaktion darauf immer vermuten lässt. Ärzte haben Hunderte Schubladen, in die sie Krebspatie­nten einordnen: Wo liegt der Krebs, wie schnell wächst er, wie ist er behandelba­r und wie operabel? Entspreche­nd unterschie­dlich sind auch die Therapien. Ob man nun mit seinem Schicksal hadert oder die Krankheit nur als vorübergeh­ende Betriebsst­örung des Köpers ansieht, was auch eine Möglichkei­t ist: Da gibt es viele Wege. Aber wie man sich das Leben leichter machen kann trotz dieser Krankheit, wie sich Druckmache­r abstellen lassen, da gibt es ganz pragmatisc­he Tipps für alle: vom Umgang mit der Angst bis zur Abwehr unnützer Ratschläge diverser Hobbypsych­ologen.

Zentrales Thema Ihres Buches ist das falsche Bild, das die Öffentlich­keit noch immer von Krebs hat. Was läuft hier falsch? Es hat sich in unser kollektive­s Gedächtnis eingegrabe­n, dass Krebs die Krankheit mit dem sicheren Todesurtei­l ist. In meinem Bekanntenk­reis sagen viele, Aids sei eine chronische Krankheit, von Krebs sagen sie

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria