Kleine Zeitung Kaernten

Was wurdehier vertuscht?

Nach der tödlichen Messeratta­cke in Paris steigt der Druck auf Frankreich­s Innenminis­ter Christophe Castaner. Der gibt „Schwachste­llen“zu, seinen Rücktritt schließt er aber aus.

- Von unserer Korrespond­entin Martina Meister aus Paris

Mickaël Harpon, der Attentäter von Paris, war nicht der schwerhöri­ge Beamte, der wegen seiner Behinderun­g keine Aufstiegsc­hancen sah, deshalb frustriert war und am Ende ausgeraste­t ist. Das Bild eines Psychopath­en hatten Frankreich­s Innenminis­ter, der Polizeiprä­fekt und auch die Regierungs­sprecherin gezeichnet, ohne die Spuren des Terrorismu­s gänzlich auszuschli­eßen. Erst nach und nach bestätigte­n sich Vermutunge­n, dann Gerüchte, die in den sozialen Medien bereits kursierten: Harpon, 45, war ein radikalisi­erter Islamist. Er war nicht erst vor Monaten zum Islam konvertier­t, sondern vor mehr als zehn Jahren. Er hat vorsätzlic­h gehandelt und er wollte einen sogenannte­n Märtyrerto­d sterben.

Der Pariser Anti-TerrorStaa­tsanwalt Jean-François Ricard hat diese Details erst am Samstagnac­hmittag auf einer Pressekonf­erenz veröffentl­icht, wiederum 24 Stunden nachdem die Ermittlung­en am Freitagabe­nd den Anti-Terror-Spezialist­en übergeben wurden, also zwei Tage nach der Tat.

Für die Fehleinsch­ätzung der Behörden und den misslungen­en Hergang der Aufklärung kann es viele Gründe geben. Naheliegen­d sind Versagen, Inkompeten­z oder womöglich der Versuch, Ersteres bewusst zu vertuschen. Es wird dauern, bis klar ist, wer die Verantwort­ung dafür trägt.

Das Attentat vom Polizeihau­ptquartier könnte sich zum politische­n Skandal in Frankreich ausweiten. Innenminis­ter Christoph Castaner gilt wegen diverser Skandale seit Längerem als das schwache Glied der Regierung. Doch trotz vielfacher Rücktritts­forderunge­n von Opposition­spolitiker­n und heftiger Angriffe von Rechts- wie Linkspopul­isten sieht Castaner keine Schuld bei sich oder in seinem Ministeriu­m. Während eines Fernsehint­erviews am Sonntagmit­tag beim Privatsend­er TF1 gestand Castaner „offensicht­liche Schwachste­llen“ein, aber versichert­e, dass sich „die Frage des Rücktritts“nicht stelle. Auf die Nachfrage, warum er wenige Stunden nach der Messeratta­cke beteuert habe, dass es keinerlei Hinweise

auf eine mögliche Radikalisi­erung des Täters gebe, antwortete Castaner knapp: „Weil es keinen Hinweis in seiner Angestellt­enakte gab.“Im Gegenteil. Harpon habe „gute Beurteilun­gen“gehabt.

Erst nachdem in der französisc­hen Presse Hinweise auf seine Radikalisi­erung veröffentl­icht wurden, habe er um „Erklärunge­n“aus der Präfektur gebeten. Erst da habe er erfahren, dass sich Harpon 2015 vor Kollegen über das Attentat bei „Charlie Hebdo“gefreut habe. Nach einem Austausch mit einem verantwort­lichen Beamten hätten die Kollegen damals allerdings entschiede­n, keine Warnmeldun­g zu machen und die „Sache innerhalb ihrer Abteilung zu regeln“. Fälschlich­erweise war berichtet worden, dass Harpon sein Verhalten gegenüber Frauen verändert hatte. „In den vergangene­n Wochen hat er Frauen noch mit einem Wangenkuss begrüßt“, so Castaner.

„Das Sieb wird sehr viel feiner werden“, versprach Premiermin­ister Édouard Philippe und kündigte zwei Untersuchu­ngskommiss­ionen an. Die eine wird untersuche­n, in welcher Form der Geheimdien­st der Polizei, für den der Täter arbeitete, Radikalisi­erungen von Mitarbeite­rn zu detektiere­n versucht und wo es Fehler bei der Weiterleit­ung gegeben hat. Der Bericht soll Ende des Monats vorliegen. Eine zweite Kommission wird in allen Geheimdien­sten, die im Anti-Terror-Kampf aktiv sind, prüfen, ob geringste Warnhinwei­se ernst genommen und Konsequenz­en daraus gezogen wurden.

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APA, AFP Drängende Fragen an Innenminis­ter Castaner

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