Über die Lebenskraft von Dichtung
Die deutsche Autorin Angela Krauß hielt bei der Preisverleihung in Wien ein starkes Plädoyer für die Poesie.
Christine Lavant sieht aus wie meine Großmutter aus dem Erzgebirge“, näherte sich Angela Krauß der Kärntner Dichterin zuerst über deren ausdrucksstarke Porträt-Fotos an. „Ihr Gesicht umschließt ein in seiner Wucht nicht beschreibbares Werk“, sagte die 69-jährige Chemnitzerin, die den mit 15.000 Euro dotierten Lavant-Preis 2019 erhielt.
Um dieses Werk ging es in der gestrigen Matinee im Wiener Radiokulturhaus, die zu einem Fest der Lavant-Freunde mit großer Kärntner Beteiligung wurde. ORF-Literaturchefin Katja Gasser sprach über Lavant als „einsam Liebende, die sich den Zumutungen der Existenz widersetzt hat“.
Eine dieser Zumutungen war wohl der sechswöchige Aufenthalt der erst 20-jährigen Poetin nach einem Selbstmordversuch in der Psychiatrie in Klagenfurt. Auszüge des Textes „Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus“(1946) wurden von der Schauspielerin Gerti Drassl und dem Musikensemble „Brot und Sterne“interpretiert – eine Wortund Musikerzählung von starker Intensität. In seiner Lobrede für die Preisträgerin Angela Krauß wies Germanist Karl Wagner auf ihre „nicht-lineare Form des Erzählens“hin, auf das Erforschen poetischer Zwischenräume durch diese „Wahrnehmungsprosa“.
Angela Krauß, Bachmannpreisträgerin (1988), NablPreisträgerin (2011) und Stadtschreiberin von Graz (1990), schlug in ihrer Dankesrede ernste Töne an: „Jetzt falle auch ich noch mit der Apokalypse ins Haus!“Denn „die Szenerie, in der unsere Lebensaufführung stattfindet, ist plötzlich anders beleuchtet – ein Wetterleuchten“. Doch die Lebenskraft von Dichtung sei noch wenig bekannt: „Lavant hat sich unaufhörlich selbst gerettet!“Es sei
etwas tief Verstörendes um diese zäh-fragile Autorin: „Freiheit des Geistes, Mut, Schönheit der Gedanken, Wahrhaftigkeit der Worte und Liebe im Überfluss, das macht die Lebenskraft von Dichtung aus.“
Über die tiefgehende Rede freuten sich beim Empfang die Diplomaten Valentin Inzko und Wolfgang Petritsch, ORF-Kulturchef Martin Traxl, die Künstler Valentin Oman und Johann Julian Taupe, Julian Roman Pölsler, der Regie und Videos verantwortete (Musik: Edgar Unterkirchner). Elisabeth Wigotschnig, die Christine Lavant persönlich gekannt hat, und Hans Gasser, Präsident der Internationalen Christine LavantGesellschaft, applaudierten der Preisträgerin ebenso wie die Literaturwissenschaftler Klaus Amann und Daniela Strigl.