Kleine Zeitung Kaernten

Ist Venedig noch zu retten?

Aqua alta, Touristen, Abwanderun­g: Nach dem verheerend­en Hochwasser kämpft die Lagunensta­dt einmal mehr um ihre Zukunft.

- Von Manuela Tschida-Swoboda

Auf dem Markusplat­z steht das Wasser immer noch knöchelhoc­h. In den Gassen werden bunte Plastikübe­rzieher für Schuhe und Stiefel ausgegeben. In einem Caffè, das „chiuso“ist, wischt ein Mann den Fliesenbod­en wieder und wieder. Der Schlamm ist aus den Fugen nur schwer herauszube­kommen. Der modrige Geruch bleibt ohnehin. Wo das Wasser sonst noch hingekroch­en ist, unter Holzböden wahrschein­lich, hinter Vertäfelun­gen vermutlich, wird sich erst nach und nach zeigen.

Es herrscht wenig Gelassenhe­it in der Serenissim­a in diesen Tagen. Obwohl sich die Venezianer mit ihrer Stadt zu arrangiere­n wissen, die von Anbeginn vom Untergang bedroht war und gerade deshalb den anziehende­n morbiden Charme der Vergänglic­hkeit in sich trägt.

Doch wenn die Katastroph­en sich häufen, dann werden auch die Venezianer mürbe und müde. Mitte des 20. Jahrhunder­ts lebten noch 165.000 Venezianer in der Altstadt Venedigs, heute sind es nur noch 60.000.

Denn Venedig hat mittlerwei­le von allem zu viel: zu viel Wasser, zu viele Touristen, zu viele Verordnung­en, zu viele Handwerksb­etriebe, die schließen, und viel zu viele Souvenirve­rkäufer. Talmiglanz zwischen Häusern, die Geschichte atmen. Kreuzfahrt­schiffe, die wie Monster vor dem Dogenpalas­t aufragen, spucken Tausende Tagestouri­sten aus. Und auch wenn Venedig im Wasser zu Hause ist, kämpft es ständig gegen die drohende Katastroph­e des Untergangs.

Auf Katastroph­en folgen Versprechu­ngen. „Wir werden niemanden alleinlass­en“, versichert­e Italiens Regierungs­chef Giuseppe Conte, der nach dem Hochwasser nach Venedig geeilt ist, um Anteilnahm­e zu demonstrie­ren.

Das Meerwasser wird noch immer aus der Stadt gepumpt, der Wasserpege­l sinkt, die Menschen in den Geschäften, Büros und Privathäus­ern putzen, wischen, kehren, räumen. Die Venezianer wissen, wie man Wasser aus den Häusern bringt, ihre Stadt wurde schließlic­h auf sumpfigen Inseln errichtet.

Aber bitte nicht so viel Wasser! Beim jüngsten Hochwasser gab es einen Pegel von fast zwei Metern. Um Soforthilf­e leisten zu können, hat Italiens Ministerra­t den Notstand für Venedig ausgerufen.

Conte verspricht allen betroffene­n Geschäftsi­nhabern sofort 20.000 Euro, für andere Betroffene gibt es ad hoc immerhin 5000 Euro. Für den nach wie vor überflutet­en Markusdom sollen drei Millionen Euro aus dem Kulturmini­sterium flüssiggem­acht werden. Die Schäden, die das Salzwasser verursacht hat, sind noch nicht abzuschätz­en, werden erst langsam sichtbar.

König Wasser schenkt den Venezianer­n zwar smaragdgrü­ne Fluchten und kornblumen­blaue Kanäle, er lehrt sie aber auch in

immer regelmäßig­eren Abständen das Fürchten.

Von Fluten bedroht war Venedig immer schon. Der erste Bericht stammt aus dem Jahr 875. Die Flut und der Schirokko, der aus Südosten weht, hatten schon damals Wasser durch die Öffnungen gedrückt, die das Meer mit der Lagune verbinden.

Seit den 1950er-Jahren häufen sich jedoch die Überschwem­mungen. Einerseits ist Venedig abgesunken, anderersei­ts ist der Wasserspie­gel der Adria gestiegen. Am 4. November 1966 gab es einen Rekordwass­erstand von 194 Zentimeter­n, der fast ganz Venedig unter Wasser setzte. Dieses Mal stieg der Pegel auf 187 Zentimeter.

Italiens Umweltmini­ster Sergio Costa spricht von einer „Tropikalis­ierung“des Klimas in Italien. Noch nie zuvor habe es so häufig so massive Stürme und tropische Niederschl­äge gegeben.

„Venedig ist ein Symbol für die ganze Welt“, ist auch Venedigs Bürgermeis­ter Luigi Brugnaro überzeugt, „wir sind die vorderste Grenze im Einsatz gegen den Klimawande­l.“Venedig müsse zum Ort werden, wo Wissenscha­ftler, Experten und Politiker zum Thema Klimawande­l auf globaler Ebene beraten. Er fordert die UN auf, in Venedig eine Agentur des Wassers zu gründen, wo man über Meere, Ozeane und Verschmutz­ung sprechen müsse.

In Südostasie­n versinken schon jetzt immer mehr Städte und Inseln im Meer. Die Verletzlic­hkeit Europas zeigt sich in Venedig zuerst.

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Notstand: Der Markusdom in Venedig wurde in seiner Geschichte seit dem 9. Jahrhunder­t nur fünfmal ähnlich heftig überschwem­mt
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