Olga Neuwirth schreibt Geschichte in der Staatsoper.
Was lange gärt, wird endlich gut: Olga Neuwirths „Orlando“nach Virginia Woolf ist das erste Musiktheater einer Frau, das an der Staatsoper Wien aufgeführt wird.
Wir sind in einem großen Haus – also geben wir ein großes Statement ab“, sagt Olga Neuwirth. Ja, ihre Oper „Orlando“ist ein großes Projekt. Und das nicht nur, weil zum allerersten Mal in der 150-jährigen Geschichte der Wiener Staatsoper ein abendfüllendes Werk einer Frau im Haus am Ring aufgeführt wird. „Es ist nie zu spät!“, kommentiert die 51-Jährige bei einem Gespräch mit Journalisten den beschämenden Zustand, der erst jetzt ein Ende findet. „Die ehrwürdige Institution der Staatsoper hat zwei Seiten: Das eine ist eine Geschichte des wunderbaren Musikmachens, das andere ist eine Geschichte der Erstarrung.“
Inhaltlich hat sich die in Graz geborene und in Berlin lebende Komponistin für jenes Werk entschieden, „das ich als 15-Jährige in einem kleinen Kaff an der slowenischen Grenze gelesen habe und das mich schon damals sehr beeindruckt hat“. Es handelt sich um den 1928 erschienenen Roman „Orlando – eine Biographie“, in dem die Hauptperson nicht nur Jahrhunderte, nahezu ohne zu altern, überdauert, sondern auch zwischendurch das Geschlecht wechselt. „Virginia Woolfs visionärer Roman um ein Wesen zwischen Fiktion und Realität, ein Wesen, das die Normen der Gesellschaft in allen Perioden hinterfragt, ist ein Teil meiner Geschichte geworden: Es geht um einen Menschen, der sich in keine Normen pressen lässt.“
Neuwirth lässt keinen Zweifel, dass sie sich in der Vorlage, aus der sie mit der Franko-Amerikanerin Catherine Filloux auch das Libretto gemacht hat, stark wiederfindet: „Orlando ist selbstbestimmt, ein Freigeist mit sprudelnder und überbordender Freiheit.“
Orlandos Durchlauf durch die Zeit findet sich auch in der Auseinandersetzung mit vier Jahrhunderten Musikgeschichte wieder. „Es gibt viele Anspielungen und verzerrte echte und unechte Zitate, die sich auf allen
Ebenen der Musik abspielen. Man wird viele erkennen und viele nicht erkennen“, sagt Neuwirth. Und ihr deutscher Komponistenkollege Matthias Pintscher, der die Uraufführung dirigieren wird, ergänzt: „Raum und Zeit sind für Olga sehr wichtig. Am Anfang taucht man ganz gemach in die Renaissance ein. Es ist ein Reisestück der Überraschungen. Es lädt auch ein, einen Umweg zu nehmen in unbekannte Territorien.“
Die musikalischen Proben sollen ein Kraftakt sein, so heißt es, schließlich verlangt Neuwirth – bekannt für Verve wie für Präzision – vom Staatsopernorchester Dinge, die Gewohnheiten radikal infrage stellen, inklusive absichtlicher Verstimmung von Instrumenten. „Die Verzerrung ist ein Stilmittel, das sich auf allen Ebenen des Musiktheaters auswirken soll“, sagt sie. Und Pintscher lobt die gewaltigen Anstrengungen des ganzen Hauses. „Es ist ein unglaublich spannendes Abenteuer für alle Beteiligten.“
Bleibt noch die Frage der szenischen Umsetzung, schließlich ist „Orlando“für Neuwirth „keine übliche Oper, ich nenne es Opera Performance“. Mit dem Regiewechsel von der Steirerin Karoline Gruber zur Britin Polly Graham im Oktober habe sie nichts zu tun, versichert die Komponistin, die aber konkrete Vorstellungen für die idealen Bedingungen hat: „Meine Musik braucht Raum, damit sie atmen kann – deswegen wollte ich kein starres Bühnenbild.“
Ihre Grundidee sei jedenfalls gewesen, „eine Grand Opera als Fusion aus Musik, Text, Video, Kostümen und einer mobilen Szenerie zu schaffen“, erläutert Neuwirth. „Ich habe selbst Film und Malerei studiert – das ist ein Teil meines Hirns. Ich kann nur in das Vorwort der Partitur schreiben, was meine Musik erfahrungsgemäß braucht. Ich kann nur sagen: Ich bin noch kein toter Komponist! Solange ich lebe, nehme ich mir das Recht, etwas zu sagen.“