Was muss man tun, um sich selbst zu heilen? Mediziner und Autor Tobias Esch im Interview.
Tobias Esch erforscht den Selbstheilungscode: Was kann ich tun, um gesund zu bleiben? Ein Gespräch über Stress als Krankmacher und die Wirkung eines Lächelns.
Herr Esch, Sie schreiben und forschen über den „Selbstheilungscode“: Wie lautet dieser Code?
TOBIAS ESCH: Es gibt wissenschaftlich erwiesen einige Zutaten, die Menschen per Rezept verschrieben werden sollten. Ich sehe dabei vier Säulen: Ernährung, Bewegung, Entspannung und das eigene Verhalten.
Beginnen wir bei der Ernährung: Was ist wirklich gesund?
Man kann es eine mediterrane Kost, Okinawa-Diät oder modern Dash-Diät nennen: All diese Ernährungsformen haben gemeinsam, dass dabei auf Fleisch weitestgehend verzichtet wird, aber viel Gemüse, Obst, Vollkornprodukte und hochwertige Öle gegessen werden. Und: Auch der Genuss gehört dazu!
Das heißt, bewusst zu schmecken, was man isst.
Wie kann man Menschen Entspannung verordnen?
Dazu gehört Meditation und die innere Einkehr. Für den Alltag bedeutet das: Bewusst Inseln zu haben, in denen man ganz zu sich kommt. Als Folge sehen wir, dass die Stresshormone runterfahren und ein physiologischer Entspannungszustand einsetzt. Dieser Zustand hat einen pharmakologischen Effekt auf unseren Körper – das können wir im EEG oder bei der Herzfrequenz-Variabilität messen. Viele von uns sind ja ständig im Alarm-Modus. Die Entspannung führt dazu, dass wir realisieren: Es gibt keinen Grund, alarmiert zu sein, und dadurch fährt der Stress runter.
Säule 3: Bewegung machen. Das sagt sich leicht, aber was ist die richtige Dosis?
Es geht gar nicht um hartes Training – für die Gesundheitsförderung brauchen wir kein so großes Maß an Bewegung. 30 Minuten an fünf Tagen der Woche sind ausreichend. Eine andere Kenngröße sind die täglichen Schritte, die wir nun ja auch ganz einfach aufzeichnen können. Eine aktuelle Studie hat nun gezeigt: 7500 Schritte pro Tag sind die richtige Dosis, um die Gesundheit zu fördern.
Was steckt hinter der vierten Säule, Verhalten?
Das beschreibt, was der Mensch tut oder denkt. Man nennt das auch positive Psychologie, ich nenne es provokant einfach Glück: soziale Beziehungen, die Liebe und der Versuch, Stress auslösende Gedanken zu reduzieren und aktiv gegenzusteuern. Das bedeutet, dass ich ver
suche, Situationen anders zu bewerten. Wenn ich nicht an Leib und Leben bedroht bin, wird es mir nicht helfen, gestresst zu sein: Es bringt meinen Fokus in den Tunnel und schaltet meine Problemlösungsstrategien aus. Stress hilft uns also nicht.
Ist Stress der zentrale Krankmacher in unserer Gesellschaft?
Stress ist ein Überlebensmechanismus, an dem zunächst einmal nichts falsch oder ungesund ist. Es geht um die Dauer und die Form von Stress. Besonders schädlich ist jener Stress, den ich mir selbst mache, weil er in meinem Kopf stattfindet und ich ihn schwer ausschalten kann. Und weil diese Art von Stress so um sich greift, ist Stress ein Gesundheitsproblem. Wir können auch messen, dass wir heute eine deutlich reduzierte Aufmerksamkeitsspanne haben, wir schlafen auch weniger als unsere Urgroßeltern. Tatsächlich sind Stress assoziierte Erkrankungen ursächlich für 60 bis 80 Prozent der Besuche beim Hausarzt.
Und welche Antworten hat die Medizin für Stress-Erkrankte?
Das Gesundheitswesen ist dringend aufgerufen, etwas zu tun – aber in der medizinischen Versorgung ist das noch nicht angekommen. Wenn Sie mit einem Stressproblem zum Arzt gehen, wird der ihnen ein Medikament verschreiben oder eine Prozedur machen – weil er nichts anderes hat. Aber er wird Ihnen nicht sagen, wie Sie den Stress reduzieren. Denn die wichtige Frage ist ja: Weiß der Patient, wie Entspannung geht? Der Arzt hat nicht gelernt, wie er den Patienten begleiten kann, welche Werkzeuge er anbieten kann.
Bis diese Kompetenzen im Gesundheitswesen ankommen: Wie gelingt es mir selbst, mein Verhalten zu verändern?
Verhaltensänderung braucht immer eine Belohnung, die sagt: Das ist gut, mach mehr davon. Für sich selbst kann das über ein Tagebuch gelingen, über Sport-Gadgets, die die eigenen Erfolge aufzeichnen, oder über Rituale, die man mit Entspannung verbindet. Oder ich kann den Tag damit beginnen, dass ich mir ein Lächeln schenke – egal, wie verknittert ich aussehe. Ich kann mich selbst wie ein Trainer motivieren, den nächsten Schritt zu machen.