Die letzten Weihnachten des Franz Wiegele
Heute vor 75 Jahren stand Franz Wiegele, einer der wunderbarsten Maler, den dieses Land hervorgebracht hat, den Stift in der Hand, in seinem Atelier in Nötsch vor der Staffelei. Die Hedwig war da, die Maria auch und Franzls alte Mutter. Alt fühlte er sich selbst schon, nicht mehr weit bis sechzig. Selber sah Franz fast nichts mehr, das rechte Auge tot, auch die Sehkraft des linken ließ drastisch nach. Die Katze schmierte ihr Köpfchen an seinem Bein. Draußen war es bitterkalt und tief verschneit. Erblindet wollte er nicht mehr leben.
Das Radio blieb ausgeschaltet, die Zeitung ungelesen. Lange konnte der Krieg nicht mehr dauern. „Das ist alles Teufelszeug!“, murrte Franzl. „In den Zeitungen ist Krieg. Im Radio ist Krieg. Krieg! Krieg! Krieg! Mir hängt der Krieg zum Hals heraus. Mir hängt Hitler zum Hals heraus. Mir hängt Stalin zum Hals heraus. Und Roosevelt. Der ganze Krieg hat mich nie interessiert, die Nazis nicht, die Sozis nicht, die Juden nicht, die Russen nicht, die Yankees nicht. Welche Stadt bombardieren sie heute? Welche Stadt ist gestern bombardiert worden? Köln oder Dresden, Wien oder Linz, Schutt oder Asche. Welche Stadt wird morgen bombardiert? Ich will nichts hören und nichts lesen.“Endsieg, lächerlich!
Hoch oben ein amerikanischer Pilot auf seinem Weg nach Norden zur Befreiung, kaum sichtbar, kaum hörbar. Ein plötzlicher Niesreiz in der Nase, unbezähmbar.
„Kopf hoch, Bub!“, rief Mutter Gertrud. „Es geht immer irgendwie weiter. Der Dobratsch beschützt uns. Nötsch, was für ein Glück! Was für eine Gnade! Nötsch, das war inneres Zuhause, inneres Weihnachten. Das Paradies. Wir alle zusammen sind Weihnachten.“
„Wir backen mehrmals täglich frisch für Sie!“, kicherte Gertrud. Nachmittags würde sie Vanillekipferl backen. Für eine Mutter bleibt der Bub immer ein Bub, auch noch mit Ende fünfzig. Ein bisschen sündigen würde der Franz, weil Weihnachten war – und weil es schon egal war.
Plötzlich ein Knall. Ein Wolkenbruch aus Stein. Blackout. Finsternis. Stille. Rauch. Eine Lawine aus Schutt. Stille Nacht. Stiller Tag.
Am Christtag das Begräbnis. Franz Wiegele, nie verheiratet, kinderlos, teilt sich mit seiner Mutter, aus der er gekommen war und mit der er nach Jahren in der Fremde wieder in einem Haushalt gelebt hatte, den Todestag und den Grabstein.