Schwarzes Jahr für die Kirche
Zunahme bei Austritten – mit traurigem Rekord in Kärnten. Hier verließen 64,9 Prozent mehr Gläubige die katholische Kirche. Im Österreich-Schnitt waren es 14,9 Prozent.
2019 war für die Kärntner Kirche ein Jahr der Negativrekorde. Die Turbulenzen seit dem Wechsel von Bischof Alois Schwarz von Klagenfurt nach St. Pölten im Juli 2018 zeigen erneut deutliche Auswirkungen. Denn in der Diözese Gurk-Klagenfurt traten 2019 – von hohem Level ausgehend – um 64,9 Prozent mehr Frauen und Männer aus der katholischen Kirche aus als im Jahr davor. Gesamt waren es 5815. Das zeigen die gestern offiziell von der Diözese präsentierten Zahlen. Die Austritte nahmen auch österreichweit um 14,9 Prozent zu, gesamt verabschiedeten sich 67.583 Personen. In Kärnten gab es so viele Austritte wie noch nie und mehr als im bisher stärksten Austrittsjahr 2010 (5639) nach Bekanntwerden von Missbrauchsfällen in der Kirche.
zeigt sich, wie die Kärntner reagierten: Zu Jahresbeginn 2019 gab es die apostolische Visitation durch Erzbischof Franz Lackner, um die von schweren Vorwürfen betroffene Ära von Bischof Schwarz in Kärnten, aber auch die Interimsführung zu
durchleuchten. Im Juli wurde Diözesanadministrator Engelbert Guggenberger von Rom abberufen. Beide Ereignisse entfachten Empörung und Widerstand, die Austrittszahlen schnellten hoch. Danach gab es Abflachungen, wie Burkhard
Kronawetter als Diözesanökonom gegenüber der Kleinen Zeitung skizziert.
Auffallend auch: Im Dezember 2019, als Josef Marketz von Papst Franziskus zum neuen Kärntner Bischof ernannt wurde, gingen die Kärntner Aus
gegenüber Dezember 2018 um fast 30 Prozent zurück bzw. pendelten sich wieder auf Normalwert ein, 288 Leute traten aus.
2019 gab es in Kärnten 306 Wiederein- und Übertritte in die katholische Kirche. 356.920 Kärntner sind römisch-katholisch, also 63,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. Österreichweit gehörten mit Stichtag 31. Dezember 4,98 Millionen Menschen der katholischen Kirche an. Im Jahr davor waren es 5,05 Millionen. Das bedeutet einen Rückgang von 1,35 Prozent. Es ist der höchste Wert seit 2010, dem Bekanntwerden von Missbrauchsfällen. In Kärnten betrug der Rückgang 1,6 Prozent.
Apropos Missbrauch: Dieses schmerzliche Thema war auch im Vorjahr für viele Katholiken
dafür, der Kirche den Rücken zu kehren: Rund um den Kinderschutzgipfel im Jänner im Vatikan war das Thema medial wieder sehr präsent.
war überregional ebenso in der Causa Bischof Schwarz das beherrschende Thema für viele Gläubige. Die Berichterstattung veranlasste auch viele Steirer zum Kirchenaustritt (plus 10,8 Prozent), so die Erhebung der Diözese Graz-Seckau. Immer wieder genannt werden die fehlenden Reformen in Bezug auf wiederverheiratete Geschiedene, Zölibat und die Frauenfrage.
In St. Pölten traten im Vorjahr 5430 Personen aus der Kirche aus, das ist ein Plus von 12,4 Prozent. In Innsbruck war die Zunahme mit 19,4 Prozent auch re
lativ hoch, in Feldkirch waren es nur 4,5 Prozent mehr als 2018.
Trotz der Zunahme der Austritte beurteilt die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak die Situation der katholischen Kirche in Österreich als stabil. Den Grund dafür sieht Polak laut „Kathpress“vor allem in der „demografisch stabilen älteren und älter werdenden Gesellschaft“, in der es noch sehr viel Katholizität gebe. Dennoch ortet sie im Rückgang den Beginn einer „tektonischen Plattenverschiebung“, die in den kommenden zehn bis 20 Jahren deutlich zutage treten werde: Für immer mehr junge Menschen hätte Religion immer weniger Lebensrelevanz.
„Die Kirche hat nach dem Abschied von der traditionellen Gestalt einer Volkskirche ungeGrund
heure Aufgaben vor sich“, das betont Pastoraltheologe Paul Zulehner. Heute sei niemand mehr verpflichtet, Mitglied der Kirche zu sein. Entsprechend gehe es darum, den Menschen zu vermitteln, wie das Evangelium zum Glücken des eigenen Lebens beitragen kann. Die Schlüsselfrage sieht Zulehner im Umgang mit jungen Frauen. „Diese fühlen sich von der katholischen Kirche ob ihres Geschlechts diskriminiert und vernachlässigt.“Der Pastoraltheologe hofft da auf Papst Franziskus und auf eine baldige Zulassung von Frauen zum Diakoninnen-Amt. Die zentrale Frage laute nicht, „ob wir in Zukunft genug Seelsorger haben, sondern genug Menschen, die sich der Jesusbewegung anschließen“, betont Zulehner.