Lebenslange Schuld und Scham nach einer Walpurgisnacht
Thomas Lang startete ein Internetprojekt, aus dem ein beklemmender Coming-of-Age-Roman wurde.
Sind es wirklich die Videospiele und Zombie-Serien, die weltweite Zugriffsmöglichkeit auf Gewaltorgien im Netz, die zur heute oft beklagten Verrohung der Jugendlichen führen? Es ist ein düsterer Situationsbericht, den der Bachmannpreisträger von 2005, der Deutsche Thomas Lang, in seinem jüngsten Buch abliefert: In der in Süddeutschland als „Freinacht“bezeichneten Walpurgisnacht will die 16 Jahre alt werdende Ellen auf einem verlassenen Bahngelände ihren Geburtstag feiern. Doch von den vielen Eingeladenen kommen nur drei Burschen aus ihrer Gang zu der Party der gemobbten Außenseiterin – mit gestohlenem Wodka, Musik und einem Ofen, um den Schuppen zu heizen. Wie die Sache eskaliert, die vier unter Alkoholeinfluss schließlich die Leiche eines am Gelände gefundenen Obdachlosen malträtieren und anschließend auf unterschiedlichste Weise mit ihrer Verantwortung umgehen, ist der Kern dieses Buches. Trist, ja, aber auch psychologisch einfühlsam und atmosphärisch dicht schildert der Autor (der zuletzt mit einem Roman über Hermann Hesse und seine Frau aufhorchen ließ) Jugendliche zwischen Schuld und Scham: „Das Gewissen hatten sie in Religion durchgenommen. Wenn man sich wegen einer Sache innerlich nicht wohlfühlte, also wusste, dass es falsch war, hatte man früher ein schlechtes Gewissen bekommen. Heute fühlte man sich mies.“Entstanden ist das Buch als literarisches Internet-Projekt, bei dem auch Schüler mitgearbeitet haben, wie Lang im Nachwort erläutert. Vielleicht sind darin auch die zum Teil überbordenden, regionalen JargonAusdrücke (Smartphones „möpen“) begründet. Die Authentizität dieses gruseligen Gesellschaftspanoramas, das auf einer wahren Geschichte beruht, gibt jedenfalls zu denken: Sind es nur Social Media“, die zur Verrohung führen oder ist es nicht auch die Gleichgültigkeit der Gesellschaft gegenüber der Orientierungslosigkeit der Jugend?