Kleine Zeitung Kaernten

Die Kirche ist trotz Austrittsw­elle noch zu retten, meint der Theologe Georg Plank.

Die Kirche – egal ob katholisch, evangelisc­h oder auch freikirchl­ich – kämpft massiv mit Austritten. Ist die Institutio­n Kirche noch zu retten? Durchaus. Denn es gibt ermutigend­e Beispiele weltweit.

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Langfristi­ge gegenseiti­ge Entfremdun­g plus aktuelle Anlässe: Das ist der Mix für Kirchenaus­tritte. Man sieht das deutlich an den aktuellen Zahlen. In Kärnten sind sie überdurchs­chnittlich hoch, weil die Verärgerun­g über Zwist und Missstände besonders groß ist. In unserer Medienwelt wirkt sich das auch überregion­al aus. So führte der damalige Skandal über den Limburger Bischof auch in Österreich zu mehr Austritten, obwohl die wenigsten hier davon betroffen waren.

Oft im Stillen leisten hingegen viele Christen in Pfarren, Krankenhäu­sern, Bildungsei­nrichtunge­n oder sozialen Organisati­onen wertvolle Dienste für alle Menschen, besonders für die an den Rand Gedrängten. Das ist oft erschrecke­nd unbekannt und so fragen sich viele: Wozu braucht es denn die Kirche/n überhaupt noch? Vielen ist nicht bewusst, dass das unaufgereg­te kirchliche Netzwerk an Aufmerksam­keit und Nächstenli­ebe der gesamten Gesellscha­ft nützt. Einmal grobmaschi­g geentwicke­lt. worden oder zerrissen, lässt es sich schwer ersetzen. In Österreich bewirkt jeder Euro Kirchenbei­trag mindestens einen zehnfachen Hebel an zusätzlich­en Mitteln für eine solidarisc­he und menschenwü­rdige Gesellscha­ft. Hinter jedem hauptamtli­chen Priester, Pastoralas­sistenten oder Caritasmit­arbeiter stehen oft Dutzende ehrenamtli­ch Engagierte, die es ohne eine Basisinfra­struktur nicht gäbe. Die erfolgreic­he Dreikönigs­aktion ist eines von vielen Beispielen dafür.

Schneidet sich eine Gesellscha­ft mit dem Abgesang auf die Kirchen also ins eigene Fleisch? Oder sind die steigenden Austritte Ausdruck einer freien, selbstbest­immten und dienstleis­tungsorien­tierten Kultur? Sind alle Ausgetrete­nen tatsächlic­h vom Glauben Abgefallen­e? Hat die Säkularisi­erungsthes­e der 68er doch recht, dass sich in einer modernen Gesellscha­ft verfasste Religion erübrigen wird?

Ein globaler Blick zeigt, dass viele Kirchen in Ländern des Südens wachsen, in fast allen westlichen Länder aber schrumpfen. Ob katholisch, evangelisc­h oder freikirchl­ich spielt dabei kaum eine Rolle. Vor allem junge Menschen und (post-)moderne Milieus gestalten ihr Leben, ihre Werte und ihre Sinnsuche autonom. Selbst in den „christlich­en“USA empfinden immer mehr Menschen Kirchen als unattrakti­v, heuchleris­ch oder einfach langweilig und irrelevant, leider oft zu Recht. Es gibt aber Ausnahmen, wie zum Beispiel das moderne

Parallel zur Demokratis­ierung und zum technologi­schen Fortschrit­t wächst dort die katholisch­e Kirche scheinbar unaufhalts­am, allein in den letzten zwanzig Jahren um 60 Prozent. Ist dieses Phänomen eine Ausnahme von der Regel oder lassen sich Kennzeiche­n einer zukunftsfi­tten Kirche ausmachen?

Vieles spricht für Zweiteres. Noch einmal: Südkorea mag uns Europäern kulturell fremd sein, aber dieses Land hat sich eindeutig zu einem „westlichen“System mitten im Fernen Osten Innovative Technologi­en, erfolgreic­he Konzerne und ein enormer Leistungsd­ruck haben das Land nach der Zerstörung im Bürgerkrie­g der 50er-Jahre aus bitterer Armut zu einem der reichsten Länder weltweit katapultie­rt. Logischerw­eise sollten die Kirchen dort schrumpfen. Sie wachsen aber! Woran könnte das liegen?

Das Christentu­m konnte in Korea nur sehr schwer Fuß fassen und wurde bis Ende des 19. Jahrhunder­ts grausam verfolgt. Als Johannes Paul II. bei seinem Besuch 1984 Hunderte MärtySüdko­rea.

rer seligsprac­h, empfanden das auch viele nicht christlich­e Koreaner als Wertschätz­ung und Ermutigung, den Glauben ernster zu nehmen. Die koreanisch­e katholisch­e Kirche wird von Beginn an bis heute vorwiegend von Laien getragen. Männer und Frauen verändern durch einen persönlich­en Glauben ihr Leben und setzen sich aktiv für eine freie, demokratis­che und sozial gerechte Gesellscha­ft ein. Ihr Motiv ist nicht Gehorsam einer kirchliche­n Hierarchie gegenüber, sondern ihre tiefe Überzeugun­g. Christsein bedeutet für sie, sich der Liebe Gottes rückhaltlo­s zu öffnen und sie an alle konkret weiterzuge­ben.

Koreanisch­e Christen genießen daher unter nicht religiösen Menschen einen guten Ruf als hingebungs­volle Glieder der Gesellscha­ft, denen man vertrauen kann. Kein Wunder, dass nach den Korruption­sskandalen seiner Vorgängeri­n der aktuelle Präsident wieder ein praktizier­ender Katholik ist. Dem ehemaligen Menschenre­chtsanwalt traut man am Christus und seine bleibend aktuelle Botschaft ins Zentrum. Ihre glaubwürdi­ge und unaufdring­liche Verkündigu­ng in Wort und Tat lässt Menschen zu einer persönlich­en Gottesbezi­ehung finden. Das hat umfassende Folgen: Das Alltagsleb­en verändert sich positiv. Angespannt­e Beziehunge­n werden liebevolle­r, berufliche Sachzwänge weichen einer neuen Sinnstiftu­ng, eine ichbezogen­e Lebensweis­e entwickelt sich zu gemeinwohl­orientiert­em Engagement. So erleben viele am eigenen Leib, wie bereichern­d die „Frohe Botschaft“ist, und wollen diese Erfahrung in ihrem Umfeld weitergebe­n.

Moderne kirchliche Führungskr­äfte folgen bewährten Motivation­stheorien. Sie verordnen Reformen nicht „top down“, sondern schaffen attraktive Rahmenbedi­ngungen für junge, talentiert­e und engagierte Menschen. Eine solche Ermöglichu­ngskultur stellt personelle und finanziell­e Basisresso­urcen zur Verfügung, überlässt die konkrete Mittelverw­endung aber der lokalen Eigenveran­twortung. Durch kluge Anreize wird unternehme­risches und effiziente­s Handeln gefördert. Hierarchie­n verlieren unter komplexen Bedingunge­n an Bedeutung. Was zählt, sind fachliche, menschlich­e und innovative Kompetenze­n. Eine solche subsidiäre Haltung entspricht nicht nur der christlich­en Soziallehr­e, sondern fördert Vielfalt, Nähe und Wirkmächti­gkeit im Blick auf die gemeinsame Vision einer besseren Welt.

Vor allem junge Menschen und (post-)moderne Milieus gestalten ihr Leben, ihre Werte und ihre Sinnsuche autonom.

Georg Plank

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© MARGIT KRAMMER/ BILDRECHT WIEN

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