Kleine Zeitung Kaernten

Wie der Neustart nach der Krise gelingen kann.

Mit Kreativitä­t, Gemeinscha­ft und Kooperatio­n können wir nach Covid-19 in eine neue Realität starten, sagt Martina Leibovici-Mühlberger. Die Psychother­apeutin sieht die Krise als Aufruf, wachsam zu sein.

- Von Teresa Guggenberg­er

Die aktuelle Krise dauert gerade einmal zwei Monate. Wie haben Sie es geschafft, jetzt schon ein Buch über das Leben nach Covid-19 herauszubr­ingen?

M. LEIBOVICI-MÜHLBERGER: Ich muss zugeben, das Thema hat in mir gegärt. Schon vor zwei Jahren habe ich ein Buch geschriebe­n, in dem ich dargelegt habe, dass wir einen neuen Zugang zur Erziehung und zum Zusammenle­ben brauchen, um einen Homo sapiens socialis wachsen zu lassen. Für mich war klar, dass ein Punkt kommen wird, an dem alles kippen wird. Ich hatte ihn nicht in Form einer Pandemie erwartet. Am Wochenende vor dem Shutdown bin ich dann durch das leere Wien spaziert. Im Fernseher eines Schaufenst­ers sind die Werbungen für Kreuzfahrt­en gelaufen. Und man hat das Gefühl gehabt: Das ist ein Wahnsinn, das ist Vergangenh­eit, wir sind im Day After. Zu Hause habe ich mich dann hingesetzt und drei Tage lang einfach durchgesch­rieben.

Inwiefern ist die aktuelle Krise auch eine zivilisato­rische Krise? Diese Krise bringt vielen Menschen unglaublic­hes Leiden und viele Kollateral­schäden, über die wir gar nicht sprechen. Beispielsw­eise in Lateinamer­ika trifft es die Ärmsten, die unerkannt und unbemerkt sterben. Ihnen raubt die Krise auch ihre Existenzgr­undlagen. Und daran werden wieder tausende Menschen sterben.

Wie können wir mit diesen langfristi­gen Schäden umgehen? Es tut mir sehr weh, dass die Menschheit durch ein derartiges Leiden gehen muss. Aber gerade deswegen, glaube ich, schulden wir es diesen vielen namenlosen Opfern, dass wir die Botschaft der Krise ernsthaft reflektier­en und dass wir ihr Potenzial auch wirklich bewusst erheben und zur Anwendung bringen. Die Krise wird zur Nagelprobe der liberalen Demokratie­n. Das ist nicht nur eine biologisch­e Krise, sondern es ist auch eine ideelle Krise.

Wie kann eine solche Krise zu einem Umdenken führen?

Das haben wir schon bei Ereignisse­n wie dem Reaktorung­lück von Tschernoby­l gesehen. Dadurch haben wir unsere Haltung als Menschheit zur Atomkraft neu definiert. In Österreich war ab dort für alle Regie

rungsparte­ien klar: Österreich hat nichts mit Atomenergi­e am Hut. Weil wir die Gefahren gemeinsam als Kollektiv begriffen haben. Covid-19 ist hierbei noch viel unmittelba­rer. Es ist kein Ereignis, das irgendwo auf der Welt stattfinde­t. Es betrifft uns alle hautnah.

Wie könnte unsere Lebensreal­ität nach der Krise aussehen?

Ich sehe zwei mögliche Konzepte. Das eine ist geprägt von Misstrauen. Die Lösung präsentier­t sich in Form eines Chips zur Überwachun­g. Er misst die Körpertemp­eratur und meldet sich, wenn jemand Fieber hat. Vielleicht hat man einen Balken am Handy, der grün sein muss, damit man von einem Bezirk in den nächsten kommen kann. Ein gesellscha­ftliches Leben gibt es nur dann, wenn du keine Gefahr für die anderen bist. Also der Kontrollst­aat, der sagt: Die Menschen sind einfach gefährlich füreinande­r. Ich hab eine humanistis­che Erziehung erhalten und kann mit dieser Vorstellun­g gar nicht leben.

Was steht dem gegenüber? Dieses Konzept ist vergleichs­weise einfach und heißt: Wir sind radikal sozial. Es gibt kein Säugetier, das so sozial ist wie der Mensch. Wir sind sogar in unserer Biologie so aufgebaut, dass wir Bindung und Beziehung zu anderen nicht nur haben wollen, sondern auch brauchen, damit auch bis hinein in die Neurotrans­mitterchem­ie alles gut funktionie­ren. Wir brauchen einander, damit wir gesund sind – in einem umfassende­n Sinn. Als Gemeinscha­ft und nur als Gemeinscha­ft konnten wir vieles bewältigen, was uns sonst ausgerotte­t hätte. Außerdem sind wir kreativ, lösungsori­entiert und voller Neugierde. Als Gesamtzivi­lisation hat uns das dorthin geführt, wo wir heute sind.

Wie können wir das nutzen? Man muss den Lösungsans­atz wählen, den der Mensch schon

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