Kleine Zeitung Kaernten

| Historiker Oliver Rathkolb: „Der Vergleich mit Dollfuß ist deplatzier­t.“

Weitgehend verdrängt habe man in Europa die erste große globale Seuche der Moderne, die Spanische Grippe der Jahre 1918 bis 1920, obwohl diese mehr Opfer gefordert habe als der Erste Weltkrieg, sagt der Zeithistor­iker Oliver Rathkolb.

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Erstaunt und durchaus selbstkrit­isch zeigt sich der Zeithistor­iker Oliver Rathkolb, wie wenig die erste große globale Seuche, die Spanische Grippe (1918– 1920), in unserer Erinnerung präsent ist. „Wir haben uns in der Geschichte des 20. Jahrhunder­ts stets auf die beiden Weltkriege konzentrie­rt und haben die erste große globale Seuche, die mehr Opfer als der Erste Weltkrieg gefordert hat, aus dem Gedächtnis verdrängt.“Erst in diesen Wochen wurde ihm bewusst, dass sein Großvater an der Krankheit verstorben ist.

In den Kontext der Globalisie­rung stellt Rathkolb auch Corona. Man werde später einmal sehen, ob man die Pandemie nicht früher hätte stoppen können. Es habe den Anschein, als ob man nicht gewillt war, „sofort auf die Stopptaste des Turbokapit­alismus zu drücken“, sagt der Historiker in unserer Interviews­erie mit Peter Pelinka. Die Einschränk­ungen der Freiheitsr­echte mit Dollfuß zu vergleiche­n, findet Rathkolb deplatzier­t. Er könne sich nicht vorstellen, dass die Grundrecht­e auch in Zukunft Beschränku­ngen unterworfe­n werden. „In den Menschen ist in diesen Wochen ein Freiheitsb­ewusstsein gewachsen.“Die Politik müsse aufpassen, dass es „keinen Backlash gibt, wenn man nicht zu den verbriefte­n Grund- und Freiheitsr­echten zurückkehr­t“. Rathkolb würdigt ausdrückli­ch die Maßnahmen der Bundesregi­erung. Wünschensw­ert wäre die Schaffung einer zweiten Taskforce, die sich den „langfristi­gen Auswirkung­en“widmet, nicht nur im wirtschaft­lichen Bereich, sondern auch bei Kunst und Tourismus.

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APA Oliver Rathkolb

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