Auf Sand gebaut
Grenzen dicht, Reisebüros am Abgrund, Urlaubsorte leer: In diesem Sommer ist nichts so, wie es einmal war. Über die fast aussichtslosen Bemühungen, die Saison zu retten.
Am Rande des virtuellen Ratstreffens der EU-Tourismusminister machte gestern Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton den zweckdienlichen Vorschlag, einen eigenen Tourismusgipfel abzuhalten – aber erst im Herbst.
Das allein drückt schon aus, wie verfahren die Lage ist. Der Tourismus ist eine der wichtigsten Säulen der europäischen Wirtschaft, zwölf Prozent aller Jobs hängen davon ab. Doch jetzt, Ende April, weiß man mit Sicherheit nur eines: So, wie man die Urlaubszeit bisher gewohnt war, wird sie in diesem Sommer nicht sein.
Da helfen auch die fast schon verzweifelt wirkenden Ideen von Urlaubskorridoren (gewissermaßen von einem „gesunden“Land ins andere) nicht viel. Entscheidend ist, wie sich die Pandemie im Detail weiterentwickelt. Das ist auch den EU-Ländern klar, die mehrfach betont haben, dass jede einzelne Entscheidung über wieder geöffnete Grenzen und Reiseerleichterungen nur dann möglich ist, wenn die Epidemiologen grünes Licht geben.
Doch damit fangen die Probleme erst an. Erster zentraler
Punkt ist, ob nachvollziehbares und wissenschaftlich abgesichertes Material über die Pandemiesituation vorhanden ist. Gestern erst haben wir über Griechenland und die angeblich sehr geringen Coronafolgen dort berichtet; es besteht Grund, das anzuzweifeln. Griechenland zieht mehr als 20 Prozent seiner Wirtschaftsleistung aus dem Tourismus.
Jedes europäische Land hat seinen eigenen Umgang mit Datenerfassung und -auswertung, mit Tests und Maßnahmen. Valide Daten und damit sinnvolle Vergleiche sind derzeit nur schwer erhältlich. Zur Erinnerung: Der Gesundheitsbereich ist Ländersache, die EU kann hier bestenfalls vermitteln.
Aber setzen wir das Gedankenexperiment fort: Sagen wir, bestimmte Regionen in Österreich oder Italien oder einige spanische oder griechische Inseln sind von dramatischen Folgen verschont geblieben, haben tatsächlich geringe Fallzahlen – müssten gerade diese Gebiete nicht Schlimmes befürchten, wenn Tausende Touristen aus allen möglichen Ländern zu ihnen W kommen können? omit wir bei der schwierigen juristischen Hürde wären. Angenommen, Österreich und Deutschland würden die Grenzen zueinander öffnen – müsste man dann beim deutschen Gast nicht doch schauen, ob er aus Sylt kommt oder aus München? Wäre andererseits ein Reisepass ausreichend – und dürfte etwa ein italienischer Staatsbürger, der seit zehn Jahren in Berlin lebt, dann dennoch nicht einreisen? Und wie würde man mit allen Buchungen verfahren, wenn sich die Lage doch wieder verschlimmert? Ein weiteres Mal alles rückabwickeln? Am ehesten praktikabel scheint noch der Urlaub im eigenen Land zu sein. Doch das fängt die Verluste nur zum Teil auf.
Die Lösung der Detailfragen ist unfassbar schwierig. Und selbst die wichtigste ist offen: wie viele Menschen heuer tatsächlich in andere Länder aufbrechen wollen. Oder können.