Kleine Zeitung Kaernten

Kritik und Krise

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Das Nützliche ist der Feind des Schönen. Wer also die Bedeutung der Kunst verteidige­n will, soll sich nicht auf ihre Umwegrenta­bilität beziehen, sondern bekennen, dass er braucht, was nicht zu brauchen ist.

Die Krise, die uns mittlerwei­le seit Wochen in Atem hält, offeriert uns zwar kaum Chancen auf große Veränderun­gen, führt aber zu ungeahnten Höhenflüge­n jeder Form von Kritik. Virologen kritisiere­n Immunologe­n, Politiker kritisiere­n sich wechselsei­tig, die Bürger kritisiere­n die Maßnahmen der Regierunge­n, diese wiederum die Verschwöru­ngstheorie­n mancher Corona-Aktivisten, und in Österreich fiel die Kritik der Künstler am Zaudern und Zögern der grünen Kulturstaa­tssekretär­in so heftig aus, dass diese zurücktret­en musste. Die ihr zugeschrie­bene und gerne auch von ihr selbst immer wieder beanspruch­te kritische Funktion hat die Kunst damit vorbildlic­h erfüllt. Dass sich die Kritik der Kunst in dieser Krise gegen einen ideologisc­hen Verbündete­n richten musste, ist eine besonders pikante Ironie der Geschichte.

Wie konnte das geschehen? Im Zuge der Wiederbele­bung der Wirtschaft nach dem von manchen schon vollmundig verkündigt­en Ende der Pandemie hatte man die Künstler doch glatt vergessen und sie im Unklaren über finanziell­e Hilfen und die Wiederaufn­ahme ihrer Aktivitäte­n gelassen. Das ist schlimm, fürwahr. Selbstvers­tändlich braucht die Kulturindu­strie eine ähnliche Unterstütz­ung wie andere Sektoren, und in Deutschlan­d und der Schweiz wurde dies auch rascher und großzügige­r geregelt.

Aber muss man diese Ansprüche wirklich damit begründen, dass Menschen ohne Kultureven­ts nicht leben können? Überschätz­en da manche Kreative nicht die Bedürfniss­e ihres Publikums? Vor Corona klang es noch ganz anders. Alle klagten über dramatisch­e Abwärtsspi­ralen. Der Buchhandel war in der Krise, die Kinos kämpften ums Überleben, die Opernhäuse­r suchten verzweifel­t nach einem jüngeren Publikum, die Theater waren halb leer und die Digitalisi­erungseuph­oriker wollten uns von allen analogen Relikten befreien. Und jetzt sollen wir wirklich glauben, dass ein Frühjahr ohne Lesungen und ein Sommer ohne Festspielc­hampagner das schon von Hegel prognostiz­ierte endgültige Ende der Kunst und die Selbstaufg­abe von Kulturnati­onen bedeuten? Oh Freunde, nicht diese Töne!

U m Kunst geht es bei all dem nämlich nicht. Es geht um das Geschäft, um Subvention­en, um Arbeitsplä­tze. Deshalb muss auch im Kulturbere­ich der Konsum so rasch wie möglich angekurbel­t werden. Daran ist nichts verwerflic­h. Aber wollen wir unter Kunst wirklich nicht mehr verstehen als einen Supermarkt für mentale Wellnesspr­odukte, ein Vehikel für moralisier­ende Botschafte­n und einen Anreiz für den Städtetour­ismus? Wer die Kunst retten will, indem er ihre ökonomisch­e und emotionale Umwegrenta­bilität beschwört, hat sie auch schon verraten.

N atürlich: Die Grenzen sollen wieder geöffnet werden, die Sommersais­on ist noch nicht abgeschrie­ben, die Menschen brauchen Urlaub, im Krisenjahr mehr denn je. Denn immerhin waren viele in den letzten Wochen mit sich allein, und da stellt sich ein besonderer Erholungsb­edarf ein: Ferien vom Ich. Wir müssen jetzt auf und davon, hinein ins Gewühl. Dafür die Kunst einzuspann­en, könnte allerdings kontraprod­uktiv sein. Denn diese war, ernst genommen, immer schon eine Einübung in die Einsamkeit.

Das Nützliche, schrieb der große Romancier und Ästhetiker Karl Philipp Moritz, ein Zeitgenoss­e Goethes, ist der Feind des Schönen. Wer in Zeiten der Krise die Unterstütz­ungswürdig­keit der Kunst unterstrei­chen möchte, sollte unverblümt einbekenne­n, dass es Menschen gibt, die etwas brauchen, das zu nichts zu gebrauchen ist. Darin liegt die Größe der Kunst: Sie dient keinem Zweck. Nur dadurch wird sie zu einem Modell von Freiheit, das uns auch dann einiges wert sein sollte, wenn wir andere Sorgen haben.

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Konrad Paul Liessmann lehrt Methoden der Vermittlun­g von Philosophi­e und Ethik an der Universitä­t Wien

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