Medienschelte in der Coronakrise
Der Journalismus steht in der Kritik der Wissenschaft, die ihn zugleich gegen die Politik verteidigt. In Österreich sind die Forscher gnädiger als in Deutschland, wo die Angegriffenen auch heftig entgegnen.
Am Ende reichte es leider „nur“für Platz 2: Knapp unterlag die steirische Kandidatin Sarah Posch im Finale von „Germany’s Next Topmodel“ihrer Konkurrentin Jacky Wruck. Die 21-jährige Deutsche ist Siegerin der 15. Staffel und darf sich unter anderem über 100.000
Euro Preisgeld freuen.
Die heimliche Gewinnerin des TV-Events ist sowieso Tamara Rebecca Hitz aus Wien. Sie belegte zwar nur den sechsten Platz, war aber die mit Abstand auffälligste Kandidatin. Die schlagfertige und eigenwillige Wienerin begeisterte die Zuseher mit spitzzüngigen Satzgebilden im formvollendeten Denglisch und einer Mischung aus Wiener Schmäh und selbstironischem Gezicke. Wochenlang schwamm sie hie und da gegen den Strom und hat nun so viele Instagram-Follower wie die beiden Finalistinnen zusammen. In der Finalshow durfte sie bereits die Backstage-Interviews führen. Dass Hitz den „Personality Award“gewann, wird wohl nur ihr erster Erfolg gewesen sein. Eine Karriere der 19-Jährigen in sozialen und traditionellen Medien scheint unvermeidlich.
Siehe „Denkzettel“auf Seite 9
Hubert Patterer hat im EMail-Newsletter „Morgenpost“der Kleinen Zeitung über mehrere Anrufe von Sebastian Kurz berichtet. Dem Bundeskanzler missfiel die Berichterstattung zu seinem Besuch im Kleinwalsertal. Das nehmen die Neos als Anlass für eine parlamentarische Anfrage zu allfälligen weiteren persönlichen Beschwerden von Kurz bei anderen Chefredakteuren. Die Nerven liegen blank nach zehn Wochen Coronakrise. Doch solche Anekdoten sind eine heimische Spezialität. Bei den Nachbarn steht der Journalismus in offensiver wissenschaftlicher Kritik. Sie ist hierzulande viel verhaltener oder kommt erst auf Nachfrage. Die Forscher sind in Österreich eher beim Team Medien.
„Systemjournalismus“wirft Otfried Jarren, ein Dojen der Kommunikationswissenschaft und Präsident der Eidgenössischen Medienkommission, schon Ende März vor allem dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor: „Exekutive, Experten und Journalistenkollegen als Eigenexperten unter sich.“Kollege Vinzenz Wyss von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften legt dann nach: „Es wurde offensichtlich, dass es zu vielen Journalisten schlicht an statistischem Wissen fehlt.“Parallel mit den Schweizern erglimpfungen höht sich die Schlagzahl der deutschen Branchenschelte. Bis Werner D’Inka, dem einstigen Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen“der Kragen platzt: „Was Medienforscher dieser Tage von sich geben, spottet (…) jeder Beschreibung“, stellte er einem wütenden Kommentar voran, um dann mit jedem Kritiker einzeln abzurechnen. Dabei findet seine Selbstverteidigung des Journalismus auch akademische Unterstützung: „Es gab glänzende Erklärstücke, konstruktive Alltagshilfe, umfassende Berichterstattung über die geplanten Maßnahmen und medizinischen Notwendigkeiten“, sagt Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen von der Universität Tübingen, „aber dann fehlte, vielleicht weil Journalisten selbst von der schieren Wucht der Ereignisse mitgerissen wurden, die politische Diskussion, das Drängen auf eine klar ausbuchstabierte Strategie.“er Zwiespalt spiegelt eine Kluft in der Gesellschaft wieder. Die Akzeptanz der Corona-Restriktionen der Regierungen sinkt zwar kontinuierlich, aber die Mehrheit der Bevölkerung stimmt ihnen noch zu. Dieses Miteinander aus Staatsräson reagiert empfindlich auf Medienkritik. Von „Lautsprecher“, „Verstärker“bis „Turbo der Machthaber“reichen hingegen die Verun
Ddes Journalismus durch Kritiker der Covid-19Maßnahmen.
Larissa Krainer, die an der Universität Klagenfurt zu Medienethik forscht, setzt voraus: „Während einer Krise wie dieser gehört es zur Rolle der Medien, Informationen aus den Regierungskreisen zu verlautbaren, weil das Allgemeinwohl von diesen Informationen abhängig war.“Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjell von der Universität Wien bedauert allerdings: „Der Propagandaund PR-Tross der Regierung hat die meisten Medien zunächst überrumpelt.“Und die auf Digitalisierung spezialisierte Autorin Ingrid Brodnig betont: „Gerade wenn die Angst bei Bürgern groß ist, sind sie eher bereit, autoritäre Maßnahmen zu akzeptieren.“Sie sagt: „Auch in unsicheren Zeiten sollen kritische Fragen gestellt werden wie: Ist es vernünftig und verhältnismäßig, welche Maßnahmen die Regierung setzt?“