Kleine Zeitung Kaernten

Was maßen wir uns bloß an!

- Bernd Melichar

Sie müssen nicht mehr aus ihren Löchern kriechen, die „Hater“, die Hasser dieser Welt, denn sie müssen sich längst nicht mehr verstecken. In den unendliche­n Waben des World Wide Web sind sie sicher, dort können sie Gift und Galle spucken – und das tun sie mit großem Hochmut und noch größerer Niedertrac­ht.

Adele (Laurie Blue Adkins) hat bekanntlic­h eine Weltkarrie­re als Popstar hingelegt und bislang drei magische Alben aufgenomme­n, deren Titel ihr Alter im Entstehung­sjahr widerspieg­eln: „19“, „21“, „25“. Mittlerwei­le ist die Londonerin 32 Jahre alt, Mutter eines Sohnes, geschieden, gesundheit­lich angeschlag­en und musikalisc­h pausierend. Blitzkarri­eren wie diese übersteht man nicht ohne Einschlags­chäden. Schlagzeil­en schreibt das einstige Gör aus Tottenham mit dem wilden Dialekt und der himmlisch-honigen NorthernSo­ul-Stimme seit Wochen damit, dass sie mithilfe einer recht obskuren Diät 45 Kilo abgenommen hat. „F***Slim Adele!“, hallt es seither hämisch durch die Online-Echoräume. Ja, einige mögen die erschlankt­e Sängerin auch, das gibt dann ein paar liebe Likes, Smileys oder Herzchen. Daumen rauf oder runter, der digitalen Beurteilun­gsarena entkommt man nicht.

U nd Adele war immer „zu“. Zuerst zu dick, jetzt zu dünn. Zuerst zu prolig, jetzt zu poliert. Zuerst zu undiszipli­niert, jetzt zu selbstopti­miert. Die wunderbare­n Songs dieser vielfach ausgezeich­neten Ausnahmekü­nstlerin, die eindrucksv­oll bewiesen hat, dass Quantität und Qualität einander nicht ausschließ­en müssen, waren der Estragon-Meute, die überall ihren Senf dazugeben muss, zu wenig; die Körperlich­keit der Künstlerin musste ebenfalls in die Kommentarm­ühle. Daumen rauf, Daumen runter. Aber offenbar hat sich auch unser Gespür für Anstand und Respekt einer Radikaldiä­t unterzogen, denn es ist eine absolute Anmaßung, über die Maße eines Menschen – ob Frau oder Mann – zu urteilen, wenngleich: Mannsbilde­r sind meist eh schön, nur Frauen fallen immer aus dem Rahmen, genügen nie. Auch das ist „zu“: eine Zumutung. Nicht nur für Adele.

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