Was maßen wir uns bloß an!
Sie müssen nicht mehr aus ihren Löchern kriechen, die „Hater“, die Hasser dieser Welt, denn sie müssen sich längst nicht mehr verstecken. In den unendlichen Waben des World Wide Web sind sie sicher, dort können sie Gift und Galle spucken – und das tun sie mit großem Hochmut und noch größerer Niedertracht.
Adele (Laurie Blue Adkins) hat bekanntlich eine Weltkarriere als Popstar hingelegt und bislang drei magische Alben aufgenommen, deren Titel ihr Alter im Entstehungsjahr widerspiegeln: „19“, „21“, „25“. Mittlerweile ist die Londonerin 32 Jahre alt, Mutter eines Sohnes, geschieden, gesundheitlich angeschlagen und musikalisch pausierend. Blitzkarrieren wie diese übersteht man nicht ohne Einschlagschäden. Schlagzeilen schreibt das einstige Gör aus Tottenham mit dem wilden Dialekt und der himmlisch-honigen NorthernSoul-Stimme seit Wochen damit, dass sie mithilfe einer recht obskuren Diät 45 Kilo abgenommen hat. „F***Slim Adele!“, hallt es seither hämisch durch die Online-Echoräume. Ja, einige mögen die erschlankte Sängerin auch, das gibt dann ein paar liebe Likes, Smileys oder Herzchen. Daumen rauf oder runter, der digitalen Beurteilungsarena entkommt man nicht.
U nd Adele war immer „zu“. Zuerst zu dick, jetzt zu dünn. Zuerst zu prolig, jetzt zu poliert. Zuerst zu undiszipliniert, jetzt zu selbstoptimiert. Die wunderbaren Songs dieser vielfach ausgezeichneten Ausnahmekünstlerin, die eindrucksvoll bewiesen hat, dass Quantität und Qualität einander nicht ausschließen müssen, waren der Estragon-Meute, die überall ihren Senf dazugeben muss, zu wenig; die Körperlichkeit der Künstlerin musste ebenfalls in die Kommentarmühle. Daumen rauf, Daumen runter. Aber offenbar hat sich auch unser Gespür für Anstand und Respekt einer Radikaldiät unterzogen, denn es ist eine absolute Anmaßung, über die Maße eines Menschen – ob Frau oder Mann – zu urteilen, wenngleich: Mannsbilder sind meist eh schön, nur Frauen fallen immer aus dem Rahmen, genügen nie. Auch das ist „zu“: eine Zumutung. Nicht nur für Adele.