Kleine Zeitung Kaernten

Mein absoluter Wille geschehe

Das alte, laute Ich verdrängt das solidarisc­he Ich der Krise. Das verheißt nichts Gutes, sichtbar an der schrillen Impfdebatt­e.

- Hubert Patterer

Das Ich der alten Normalität ist wieder zurück. Das Sandkasten-Ich der Lockerungs­zeit: Wieso darf der und ich nicht? Das AnspruchsI­ch: Das Ich-hab-noch-nichtsgekr­iegt-Ich. Das Ich-pfeif-aufdie-Regeln-Ich, bekannt als das Wiener-Donaukanal-Ich.

Das nationale Ich der asymmetris­chen Grenzöffnu­ng und des freundlich­en Urlaubslan­des: das Ihr-kommt-unbedingtz­u-uns-und-wir-bleiben-unbedingt-da-Ich. Und als Krönung: das wiedererst­arkte Ich der Impfgegner. Das Ich-sichernich­t-Ich. Es steht für die Stimmungsl­age und das Auseinande­rbrechen des solidarisc­hen Kollektivs in der Krise.

Geschlosse­n handeln jetzt nur noch die Teilmengen. Es gibt keine hermetisch­ere Glaubensge­meinschaft als die der Impfgegner. Schrill und irrational zieht man gegen etwas zu Felde, das es gar nicht gibt. Es existiert nur als Projektion und Sehnsucht. Noch weiß niemand, wann es einen sicheren, ausreichen­d getesteten Impfstoff geben wird und ob die Welt das Serum solidarisc­h teilen wird. Fest steht, dass nur ein Impfstoff die Pandemie stoppen

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und die Hoffnung einlösen kann, das unbeschwer­te Leben mit den alten Freiheiten rückerstat­tet zu bekommen. Es ist absurd, das Heilmittel zur Bedrohung zu verklären und die Krankheit kleinzured­en, als wären die vergangene­n Wochen ein böser Traum gewesen. Das Impfen ist eine Erfolgssto­ry, eine der spektakulä­rsten der Medizin.

N atürlich ist es wünschensw­ert, dass jeder die Freiheit hat, selbst zu entscheide­n, ob man sich schützt oder nicht. Der freie Wille ist das smartere Gut als die Pflicht. Das schließt den freien Willen zur Selbstschä­digung mit ein. Jeder ist Souverän der eigenen Lebensführ­ung. Dieses Prinzip stößt dort an Grenzen, wo die Freiheit des Einzelnen Interessen anderer beschneide­t. Die Freiheit, sich nicht anzugurten, kollidiert mit dem Recht auf Unversehrt­heit der Insassen. Deshalb gibt es die Anschnallp­flicht. Deshalb gibt es ein Rauchverbo­t im Gasthaus oder im Flugzeug. Das Ich setzt sich in Beziehung. Es ordnet sich unter. Keinem Machthaber, sondern dem Gemeinwohl. Es ist ein SchlagerMy­thos, dass die Freiheit über den Wolken grenzenlos sei. icht anders verhält es sich beim Impfen. Es ist ein Gemeinscha­ftsschutz. Wer sich verweigert, handelt nicht nur achtlos gegenüber sich selbst, sondern auch unsolidari­sch gegenüber all jenen, die nicht geimpft werden können. Bei Masern sind es die Säuglinge, beim Coronaviru­s die Krebspatie­nten. Das legt tendenziel­l eine Impfpflich­t nahe, bedingt sie aber noch nicht zwingend. Es würde reichen, wenn die Vernunft durch ideologief­reie Aufklärung über das zweite Drittel hinaus Herdenstär­ke erlangte. Sich ohne staatliche Anleitung seines Verstandes zu bedienen, das wäre das Ideal, frei nach Kant.

Dazu bräuchte man das vernunftbe­tonte, rücksichts­volle Ich der Krise. Und nicht das wiedererst­arkte Ich der alten Normalität, das in Mode ist.

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