Wer regiert, der gewinnt
Der atypische steirische Wahltag brachte die Renaissance des Amtsbonus – für viele Bürgermeister vor Ort und für die Regierung im Bund. Auch sonst geschahen Wunder.
Wer regiert, verliert: Das war jahre-, wenn nicht jahrzehntelang das Angstmotto der Herrschenden an Wahltagen. Nun hat sich dieses Motto, so scheint es, auf mehrfache Weise ins Gegenteil verkehrt. Bei den steirischen Gemeinderatswahlen, die gestern der erste und daher bundesweit beachtete Urnengang nach der Coronakrise waren, wurden reihenweise Bürgermeister im Amt bestätigt. Ausnahmen gab es meist dort, wo Streit und Unbill die Gefolgschaft störten – etwa in der „Skihauptstadt“Schladming.
Die Krise ist eben keine Zeit für Experimente. Das gilt auch im größeren Kontext. Noch zu Zeiten der vermeintlich immerwährenden Großen Koalition galt die Faustregel, dass eine Beteiligung an der Bundesregierung bei Gemeinderats- und Landtagswahlen als üble Nachrede gewertet und vom Wähler abgestraft wird. Es war die Zeit der Landesfürsten, die mit Losvon-Wien-Politik Kleingeld machten. Und es war die Zeit der Protestwähler, die an der Urne Quittungen für vermeintlich oder tatsächlich erlebte Abstiegskarrieren ausstellten.
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Heute ist das anders: Die Regierungsparteien ÖVP und Grüne sahnten bei den Kommunalwahlen kräftig ab. Der Sonntag brachte die Renaissance des Amtsbonus. Das ist, bei allen lokalen Sondereffekten, ein Indiz dafür, dass sich diese Bundesregierung nach wie vor auf viel Zustimmung stützen kann. Die Grünen sind unverbraucht und die Türkisen interessanterweise auch, weil Sebastian Kurz als „neue Firma“wahrgenommen wird, obwohl die Partei seit mehr als einem Dritteljahrhundert ohne Unterbrechung am Ministerratstisch sitzt.
Ein näherer Blick lohnt sich auf die obersteirischen Industriegemeinden. Dort zeigt sich kein einheitliches Bild: Heilige SPÖ-Erblande wie Eisenerz oder der Eisenbahnerort Selzthal fielen erstmals an die ÖVP, was Stammwählern als unerhörter Epochenbruch erscheinen muss. Andernorts, etwa im politisch geschichts- und symbolträchtigen Knittelfeld oder in Bruck an der Mur, konnte die SPÖ ausgehend von hohem Niveau noch zulegen. Der Grund dafür ist eine erfolgreiche Wähler-Rückrufaktion von der FPÖ, die weiter auf die Verliererstraße verbannt bleibt. Die rote Frohbotschaft des durchwachsenen Wahltags lautet also, dass es möglich ist, Wähler von Blau nach Rot zurückzulotsen. undum zufrieden sein darf der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer, der sich vom Bund über das Land bis in die Gemeinden jetzt von einem ÖVP-Erfolgslauf umzingelt sieht. Der 68 Jahre alte Routinier, der 1970 in die Politik einstieg und daher jahrzehntelang selten Grund zu Wahltagsjubel hatte, verbuchte gar das bisher zweitbeste ÖVP-Resultat bei steirischen Kommunalwahlen. Da war er einen Moment lang so gut gelaunt, dass er sogar die Einführung der BürgermeisterDirektwahl (in anderen Bundesländern längst Standard) nicht mehr rundheraus ablehnte. Es geschehen eben an Wahltagen manchmal noch echte Wunder.
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