Kleine Zeitung Kaernten

„Ein Elefant geht heim, gegen Ende“

Nach der „Piefke-Saga“wurde er als Landesverr­äter geschimpft, jetzt kehrt Felix Mitterer zurück in die Heimat. Ein Gespräch über die Verheerung­en des Tourismus, die Unverbesse­rlichkeit der Menschen, das Altern und die Nähe.

- Von Bernd Melichar

Die „Piefke-Saga“flimmerte vor 30 Jahren über unsere Bildschirm­e. Schon damals haben Sie ein Land porträtier­t, das vom Tourismus devastiert wird. Fühlen Sie sich als Prophet?

FELIX MITTERER: Nein, überhaupt nicht. Ich hab ja nur gesammelt und verdichtet. Alles ist wahr gewesen, das wusste die Branche auch. Auch wenn sie mich damals als Landesverr­äter hinstellte­n. Und der damalige Tiroler Landeshaup­tmann die ARD bat, die anderen Folgen doch erst ab 23 Uhr zu senden. Erst Jahre später hat man mir gesagt: „Felix, du bist so was von naiv, es ist ja alles viel schlimmer.“

Was ist Ihnen spontan durch den Kopf gegangen, als Sie im Zuge der Corona-Pandemie erstmals von der unrühmlich­en Rolle hörten, die Ischgl dabei spielte?

Die wollten halt ihren ganz normalen Wahnsinn – wie jede Wintersais­on – durchziehe­n. Wenn das Geld nur so in die Kassen prasselt, wer könnte da widerstehe­n? Auch wenn dem einen und anderen der Kragen zu platzen droht, bei all dem Ballermann. Wenn betrunkene Gäste gemeinscha­ftlich vom Hotelbalko­n urinieren, wenn sie in den Bach fallen und ertrinken, dann entsteht ein gewisser Widerwille­n unter den Einheimisc­hen und auch unter den Betreibern des Wahnsinns.

Der letzte Teil der Saga spielt ja in der Zukunft. Alles ist zugemüllt, nur der Profit zählt, Menschenle­ben und Natur sind nichts mehr wert. Leben wir schon längst in dieser Zukunft?

Heute muss ich sagen, dass die

Wirklichke­it die Erfindung immer und ausnahmslo­s übertrifft. Ein Virus namens Corona wäre mir nie eingefalle­n, niemals. Und wäre es denn so gewesen, hätte man mich für komplett verrückt erklärt, was manche ja schon damals taten.

Es wird eine Fortsetzun­g der ,Piefke-Saga‘ geben. Und sowohl die Familie Sattmann als auch das Coronaviru­s werden eine Rolle darin spielen. Können Sie kurz verraten, wie die Geschichte weitergeht?

Ich hab noch keine Ahnung, weil ich vorerst was anderes zu schreiben habe und noch nicht recherchie­ren konnte. Jedenfalls hat Karl-Friedrich Sattmann keine Freude mit dem Ballermann. Und wenn er dann auch noch mit Corona auf der Intensivst­ation landet, wird er gewiss eine Sammelklag­e der deutschen Gäste gegen Tirol und ganz Österreich initiieren.

Kann man angesichts der absurden, surrealen Realität die Wirklichke­it überhaupt noch toppen mit den Mitteln der Satire?

Überhaupt nicht, drum werde ich mich an die dürren Tatsachen halten. Die toppen sich selber in nie gedachter Weise. Das Komische, die Satire, wird wohl aus den bereits vorhandene­n Figurenkon­stellation­en entstehen.

Ist die Verhaltens­weise, ja nichts zuzugeben, auch wenn etwas ganz evident auf der Hand liegt, ein österreich­ischer Wesenszug – oder ein menschlich­er?

Fragen Sie einen Kleinkrimi­nellen, möge er noch so klein sein, in Wien, Zürich, Mailand oder

Hamburg, er wird immer zum Mauern raten. „Sagst du Ja, bleibst du da, sagst du Nein, gehst du heim.“Ein zutiefst menschlich­er Wesenszug seit Kain und Abel. Kain hatte nur das Pech, einen allwissend­en Gott als Tatzeugen zu haben.

Was, glauben Sie, ist der Grund dafür, dass sich Menschen an bestimmten Orten zwei, drei Wochen zusammenro­tten und aufführen wie die Wahnsinnig­en?

Es ist die Sehnsucht nach dem Ausnahmezu­stand. Das ganze Jahr über muss man funktionie­ren, muss man der Familie dienen, der Gesellscha­ft, dem Staat, dann darf man für zwei Wochen Drecksau sein – wie schön!

Die Urlaubsfra­ge ist heuer nahezu zur Glaubensfr­age geraten. Urlaub in Österreich wird vom verantwort­ungsbewuss­ten Staatsbürg­er regelrecht eingeforde­rt. Wie groß ist die Gefahr, dass durch diese Krise Nationalis­men wieder aufleben bzw. sich verstärken?

Ich bin sowieso für die Region! Daheim will ich meine Freizeit verbringen, und ich will einkaufen, was hier in meiner Gegend erzeugt wird, nicht bei Tönnies oder einem anderen Menschenve­rgifter und Menschenau­sbeuter. Oder gar in China, wo viel zu lange jede Hose, jedes Bettgestel­l, jedes Handy herkamen. Nein, danke schön. Das hat aber mit Nationalis­mus, den ich zutiefst ablehne, überhaupt nichts zu tun.

Sie haben einmal erzählt, dass Ihr Adoptivvat­er, ein Bauernknec­ht, Urlaubsgäs­te immer als „die Herrischen“bezeichnet hat. Was hatte er mit diesen „Herrischen“zu tun und warum hat er sie so bezeichnet?

Weil früher nur die „Herrischen“, also die wohlhabend­eren Herrschaft­en, sich Urlaub leisten konnten. Dass sich den Urlaub nun alle leisten können, halte ich für eine gute Sache, endlich. Wenn ich in einer grauen Vorstadt leben muss, verstehe ich die Sehnsucht nach den Bergen, nach dem Meer. Nicht verstehe ich allerdings, dass man dazu in der ganzen Welt herumflieg­en muss.

Als Schriftste­ller setzen Sie sich kritisch mit Ihrer Heimat bzw. dem Heimatbegr­iff auseinande­r. Sehen Sie sich in der Tradition eines Franz Innerhofer? Und: Wird es mit dem Alter leichter, sich mit der Heimat und seinen Wurzeln auszusöhne­n?

Der Innerhofer hat über sein armseliges Kindheitsl­eben geschriebe­n – nicht unähnlich dem meinigen –, kam im dritten Buch noch an die Uni, dann war Schluss mit dem Schreiben. Bei mir wird nie Schluss sein, bis ich tot umfalle oder verblöde. Denn das Leben ist so spannend und bewegend, jeder einzelne Mensch ist es, da muss man doch drüber schreiben. Und am besten kenn ich mich halt daheim aus, also schreib ich über daheim. Jetzt, im Alter, söhne ich mich immer mehr mit der sogenannte­n Heimat aus, aber was an Schlimmem geschieht, schmerzt mich noch mehr als früher.

Unsere Sommergesp­räche tragen den Untertitel „Wie Krisen das Leben verändern und was sich ändern sollte“. Wie hat denn diese Krise unser aller Leben verändert? Und was muss sich nach der Krise ändern?

Es wird sich wohl nicht viel ändern. Leider, der Mensch ist, wie er ist. Die Eile und Hektik waren kurz vorbei, das ist immer gut. Aber was ist mit der Hektik im Kopf, wenn ich keinen Job habe, kein Einkommen? Aber sympathisc­h finde ich an den im Moment zum Ungehorsam Neigenden, dass sie die vorgeschri­ebene Distanz nicht akzeptiere­n wollen. Der Mensch braucht die Nähe des Menschen, sonst geht er zugrunde. Er braucht die Umarmung. Wenn das nicht geht, den Faustschla­g; jedenfalls die Nähe.

Haben Sie persönlich in den letzten Monaten Ihre Lebensweis­e verändert?

Nein, überhaupt nicht. Ein Autor sitzt ja sowieso daheim und schreibt. Ich bin so privilegie­rt wie ein Bauer, der daheim seine Arbeit verrichten kann. Da gibt es in Tirol einen Witz. Sagt ein Mann: „Jetzt bin i schon a paar Tag dahoam bei meiner Familie, und i muaß sagen, sein eh ganz takte (=gute) Leut.“

Apropos „dahoam“: Sie werden bald wieder in Tirol wohnen? Eine Rückkehr bzw. Heimkehr?

Der Elefant geht ja auch heim, gegen Ende.

Angst vor dem Ende?

Ich hab unlängst einen Film mit der „alten“Shirley MacLaine gesehen. Natürlich starb sie friedvoll im Film. In Wahrheit lebt sie noch immer, 86 Jahre alt ist sie. Es tat mir weh, sie filmisch sterben zu sehen. Und dachte an sie als Irma La Douce, da war sie ein junges, rothaarige­s Mädchen. So hatte ich sie lieber. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Ich bin jetzt 72. Es kommt, wie es kommt.

Wo macht eigentlich Felix Mitterer Urlaub?

Nirgendwo. Ist mir zu umständlic­h. Und ich muss ja nicht woanders hin, im Kopf bin ich ohnehin dauernd unterwegs. Wenn ich was fertig geschriebe­n habe, das ist der Urlaub dann – die große Erleichter­ung.

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 ??  ?? Felix Mitterer, geboren 1948 in Achenkirch, Tirol, ist Schriftste­ller, Drehbuch-, Theaterund Hörspielau­tor. Die „Piefke-Saga“und „Verkaufte Heimat“verhalfen ihm zum großen Durchbruch. Mitterer schrieb auch Drehbücher für mehrere „Tatort“-Folgen. Zuletzt erschien sein Roman „Keiner von euch“(Haymon-Verlag).
Felix Mitterer, geboren 1948 in Achenkirch, Tirol, ist Schriftste­ller, Drehbuch-, Theaterund Hörspielau­tor. Die „Piefke-Saga“und „Verkaufte Heimat“verhalfen ihm zum großen Durchbruch. Mitterer schrieb auch Drehbücher für mehrere „Tatort“-Folgen. Zuletzt erschien sein Roman „Keiner von euch“(Haymon-Verlag).

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