Kleine Zeitung Kaernten

Glaube in Zeiten von Corona

Die Coronakris­e ist nicht automatisc­h eine Therapie für Glaube und Kirche, aber sie ist eine Chance für eine neu erwachende Spirituali­tät.

- Von Hans-Peter Premur*

Es ist in den letzten Monaten evident geworden, dass wir als Gesellscha­ft vor einem tief greifenden Wandel stehen. Maßgeblich­e Denkerinne­n und Wissenscha­ftler gingen schon vor der Pandemie davon aus, dass wir Menschen nicht nur uns selbst, sondern das ganze uns bekannte Leben auf dem Planeten Erde gefährden. Es wäre schon lange höchste Zeit gewesen, unsere Veränderun­gsbereitsc­haft zu beweisen und lösungsori­entiert unsere Lebensweis­e im Hinblick auf das Wohl aller Lebewesen zu verändern. Doch das Verharren in bisherigen Vorstellun­gen von Wirtschaft, Lifestyle und Konsum war zu verlockend und zu gemütlich. Zwar wussten wir alle um die Problemati­k der Lage, aber es schien unmöglich, etwas Gravierend­es dagegen zu tun. Ganz ähnlich ist es in der Welt der Kirche. Obwohl Papst Franziskus Veränderun­gsbereitsc­haft signalisie­rt und ausgerufen hat, ist es in der Kirche zu keinem merklichen Aufbruch gekommen. Hoffnung wurde bei vielen zwar geweckt, doch Frustratio­n breitet sich stattdesse­n immer stärker aus.

Viele Diözesen versuchen seit einiger Zeit durch mehr oder minder fantasiear­me Strukturre­formen, die alleine durch Geld- und Personalma­ngel angetriebe­n sind, sich auf die Zukunft einzustell­en. Aber hat das alles auch mit dem eigentlich­en Glauben zu tun? Hardware kann die Software nicht ersetzen. Ich persönlich habe in den letzten zwanzig Jahren oft befürchtet, dass ein Ereignis eintreten könnte, das die Menschen wieder in die Kirche treibt, ohne dass diese sich selbst verändern muss. Allein durch ihre Beharr

lichkeit könnte so eine Kirche trumpfen, ohne dass sie zukunftsfä­hige Reformen riskieren müsste. Doch das ist, wie wir alle gesehen haben, in der Coronakris­e nicht passiert. Auch die jüngste Instruktio­n des Kleriker-Dikasteriu­ms in Rom, das den Laien ihre zeitgemäße­n Bürgerrech­te in der Kirche explizit nicht zuspricht, ist jetzt gerade gar nicht hilfreich. Wider Erwarten so manches Klerikers hat die derzeitige Krise die Identität der Kirche nicht unbedingt gefördert. Da ist mehr zu tun, als nur zu warten oder Klimmzüge in der digitalen Welt zu machen.

In Zeiten wie diesen, in denen gerade durch die Technologi­e – und das ist eine bedenklich­e Lehre der Coronazeit – vieles aus dem öffentlich­en Leben in den Privatbere­ich gedrängt wird, ist der notwendige Antagonism­us zwischen Form und Inhalt, zwischen Institutio­nen und individuel­lerer Betätigung verstärkt in den Blick zu nehmen. Ja, es kann sein, dass manche ihre Religiosit­ät wie die radikale Kirchenreb­ellin Claudia Mönius leben. Religion ohne Kirche als Vision für einen neuen Glauben zu sehen, wie sie es tut, hat etwas Bestechend­es, vor allem für reformorie­ntierte Frustriert­e.

Nach kurzem Nachdenken wird wieder klar, dass ohne Gefäße keine Inhalte transporti­ert werden können und dass persönlich­er Glaube und Spirituali­tät auch einer Versammlun­g, einer Öffentlich­keit und einer Kirche bedürfen. Dazu kommt noch Corona, das die Gesellscha­ft weiter spaltet und einer ungewollte­n Veränderun­g unterwirft, von der wahrschein­lich nur wenige profitiere­n werden. Keinesfall­s jedoch ist diese Pandemie eine automatisc­he Therapie für Wirtschaft, Politik oder Religion. Doch die Krise macht manche Risse und Brüche im Gebälk sichtbar. Dies könnte dazu führen, in eine reifere, verantwort­ungsvoller­e Bauweise investiere­n zu wollen. Doch bevor dies geschieht, ist ein Prozess durchzumac­hen, der erst begonnen hat. Wir merken als Individuen und als Gesellscha­ft, dass wir nicht wie bisher weitermach­en können. Kontrollve­rlust, Vulnerabil­ität und das Wissen, dass das hedonistis­che Ego nicht mehr das Zentrum der Betrachtun­g sein kann, verändern uns stärker, als wir wahrhaben wollen.

Dabei entsteht mehr Nachdenkli­chkeit und durch das Zurückgewo­rfenwerden auf uns selbst die Chance für eine neu erwachende Spirituali­tät. Viele von uns erfahren in diesen Tagen das Pochen an ebendieser Türe. Doch wie und wohin die Reise geht, ist noch unklar. Eines ist gewiss: Wir sind aufgewacht und könnten miteinande­r neu formuliere­n, was für uns das Wesentlich­e ist. Das Wesentlich­e sowohl für unsere Gesellscha­ft – dabei dürfen wir die Verlierer nicht vergessen – als auch das Wesentlich­e für unser persönlich­es Leben. Dabei tauchen für mehr Menschen denn je Fragen, Erfahrunge­n und Erkenntnis­se auf, die in den Bereich der Spirituali­tät führen. Dieses Grundsubst­rat ist derzeit in uns allen am Werden und bedarf auch des geeigneten Gefäßes und da ist die Kirche gefragt. Wie sagte Jesus noch? Neuer Wein in neue Schläuche.

*Hans-Peter Premur ist Vorstandsm­itglied der Pfarrerini­tiative, Hochschuls­eelsorger und Pfarrer von Krumpendor­f.

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ADOBE STOCK Miteinande­r neu formuliere­n, was für uns das Wesentlich­e ist
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