Kleine Zeitung Kaernten

„Wir achten den Wählerwill­en“

INTERVIEW. Montenegro­s Staatschef Milo Djukanovi´c über einen möglichen Machtwechs­el, seine künftige Rolle und den Einfluss Russlands auf dem Westbalkan.

- Milo Djukanovic,

In Montenegro liegen drei Opposition­sparteien knapp – um ein Mandat – vor der Regierungs­koalition. Manche Opposition­spolitiker behaupten, die DPS könnte versuchen, durch Wahlanfech­tungen doch noch weiter in der Regierung zu bleiben. Wird die DPS das Wahlergebn­is akzeptiere­n?

MILO DJUKANOVIC: In Montenegro gab es nie einen Mangel an Spekulatio­nen. Dazu zählt auch, dass die DPS ihre Macht mit allen Mitteln verteidige­n würde, und zwar unabhängig vom Wählerwill­en – was natürlich nicht passieren wird. Wir haben der Opposition noch in der Wahlnacht gratuliert, und für uns ist es keine Option, etwa durch einzelne Wahlwieder­holungen die demokratis­che Tatsache infrage zu stellen, dass die Drei-Parteien-Koalition der Opposition eine hauchdünne Mehrheit erzielt hat. Wir wollen Montenegro als demokratis­che Gesellscha­ft entwickeln und akzeptiere­n daher den Wählerwill­en.

Montenegro hat keine Erfahrunge­n mit der sogenannte­n Kohabitati­on. Wird die Zusammenar­beit zwischen Staatspräs­ident und Regierung funktionie­ren?

Im Rahmen der Verfassung wird diese Zusammenar­beit funktionie­ren. Ich bin überzeugt, dass Montenegro auch in dieser Frage seine demokratis­che Kultur beweisen wird. Wir haben eine verantwort­ungsvolle Haltung zur Stabilität in der Gesellscha­ft. Wichtiger Teil davon ist die Achtung der Verfassung und dass dementspre­chend die Gewaltente­ilung funktionie­rt. Wir wissen, dass Montenegro seit langer Zeit als gespaltene Gesellscha­ft fungiert. Das ist eine Folge der hishalt torischen Spaltungen, die unsere Generation geerbt hat und mit denen wir versucht haben, zivilisier­t umzugehen.

Serbische Fahnen schwenkten in der Wahlnacht viele Anhänger der Opposition; die Bindungen an Serbien sind auch verwandtsc­haftlich sehr stark, und die slawische Bevölkerun­g ist in der Frage der Nationsbil­dung gespalten. Warum ist diese Spaltung nach wie vor so stark?

Erstens sind das tief verwurzelt­e historisch­e Spaltungen, die bis heute andauern. Diese werden immer dann leidenscha­ftlicher diskutiert, wenn wichtige politische Entscheidu­ngen stattfinde­n. Das war so bei der Erneuerung unserer Unabhängig­keit und natürlich auch bei unserer Entscheidu­ng, der Nato beizutrete­n. Ein Teil der Öffentlich­keit lehnt beides ebenso ab wie einige unserer Nachbarn. Sie ermutigen jene, die die Zukunft Montenegro­s anders sehen. Der zweite Grund ist, dass wir uns in diesen 14 Jahren seit der Unabhängig­keit beinahe durchgehen­d in einer Krise befanden. Wir haben unsere Unabhängig­keit im Jahr 2006 erneuert. 2008 brach eine schwe

Zur Person

geboren 1962, ist seit 2018 zum zweiten Mal Präsident Montenegro­s. Zudem war er vier Mal Premier. Seit 1997 ist er Chef der Demokratis­chen Partei der Sozialiste­n. 2006 setzte er durch eine Volksabsti­mmung die Trennung von Serbien durch.

re Wirtschaft­skrise aus, die mehrere Jahre andauerte. Dann hatten wir eine Krise des Erweiterun­gsprozesse­s der EU und wir hatten eine Europäisch­e Kommission, die erklärte, dass es keine Erweiterun­g geben würde. Dies kühlte die europäisch­e Begeisteru­ng selbst bei den reformorie­ntierten Kräften in der Region ab. Nun haben wir die Coronakris­e; wir leben die ganze Zeit unter Krisenbedi­ngungen, und deshalb konnten wir keine optimalen Ergebnisse erzielen.

Aus der Sicht eines Ausländers hat Montenegro aber trotz aller Probleme auch beachtlich­e Erfolge bei seiner Modernisie­rung erzielt.

In diesen 14 Jahren haben wir das BIP, das Durchschni­ttsgeund die Pensionen verdoppelt. Im Jahr 2006 lag Montenegro bei 36 Prozent des durchschni­ttlichen Lebensstan­dards in der EU, 2019 lagen wir bei 50 Prozent. Aber es ist schwierig, die jahrhunder­tealte Kluft in 14 Jahren zu überwinden. Wir sind uns bewusst, dass dieses Wahlergebn­is diesen Prozess stoppen könnte. Der Weg in die europäisch­e Zukunft ist der einzig gangbare Weg heraus aus der Rückständi­gkeit der Region. Wir stehen für diese Politik – entweder als Opposition oder als Teil der Regierung.

Welche Rolle spielen Russland und Serbien in Montenegro und in der Region?

Es gibt auch eine andere Vision, die die rückwärtsg­ewandte Politik der 90er-Jahre des vorigen Jahrhunder­ts erneuern will. So haben die Offizielle­n in Moskau mehrfach gesagt, dass sie gegen die Erweiterun­g der Nato und im Wesentlich­en auch der EU auf dem Westbalkan sind. Eine solche Botschaft aus Moskau förderte die rückwärtsg­ewandte Politik in der Region. Moskau mischt sich sehr in die Politik einiger Westbalkan­staaten ein, was weder die EU noch die USA überrasche­n kann. Heute sehen wir, dass sich das großserbis­che Projekt wiederbele­bt hat; dieses strebt nach einer Kompensati­on Serbiens für den verlorenen Kosovo, und natürlich ist da Montenegro das erste erstrebens­werte Ziel des großserbis­chen Nationalis­mus. Hoffen wir, dass dies nicht geschieht, dass die EU und die USA der Region in Zukunft mehr Aufmerksam­keit widmen, um die Prozesse zu unterdrück­en, die sich hier ausgeweite­t haben und auch die europäisch­e Stabilität gefährden.

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