Zwei Millionen Euro für eine Infusion
Kleiner Steirer erhielt das teuerste Medikament der Welt: Es korrigiert einen Gendefekt, der zu Muskelschwäche führt.
Er schiebt einen Traktor über sein Krankenhausbett, gibt seiner Ärztin ein High-Five, blättert im Bilderbuch: Der junge Steirer zeigt vor, wie viel Beweglichkeit in seinem kleinen Körper steckt. Und das ist nicht selbstverständlich, leidet der Bub (seine Eltern möchten, dass er anonym bleibt) doch an einer seltenen Erbkrankheit: der spinalen Muskelatrophie, kurz SMA. Den Betroffenen fehlt ein Protein, wodurch jene Nerven zugrunde gehen, die die Muskelkraft des Körpers steuern. Zuerst macht sich das in Armen und Beinen bemerkbar, doch im weiteren Verlauf sind lebenswichtige Funktionen wie Atmung oder Schlucken beeinträchtigt. Kinder, die von der schweren Form SMA 1 betroffen sind, verstarben deshalb ohne Therapie in den ersten zwei Lebensjahren. Der kleine Steirer ist 18 Monate alt – und ist nun das erst zweite Kind in Österreich, das mit einer neuen, 2020 zugelassenen Gentherapie behandelt wurde. Es ist auch jenes Medikament, das als die teuerste Spritze der Welt gilt.
„Mit dieser Therapie können
das defekte Gen ersetzen“, erklärt Barbara Plecko, behandelnde Ärztin am LKH-Uniklinikum für
Kinder- und Jugendheilkunde Graz. Mithilfe eines inaktivierten Virus wird das Gen in die Zellen eingeschleust. Dafür braucht es nur eine Behandlung: Eine Infusion und aus einer tödlichen wird eine behandelbare Erkrankung.
Der kleine Patient ist der erste Steirer, der diese Therapie erhalten hat – zuvor wurde ein vier Monate altes Mädchen in Salzburg behandelt. Der Grazer Patient erhielt davor eine andere, ebenfalls effektive Gentherapie – das Medikament heißt Spinraza und hat schon für Auseinandersetzungen vor Gericht gesorgt (siehe unten). „Der große Vorteil des neuen Präparats Zolgensma ist: Es braucht nur eine Behandlung, während Spinraza lebenslang mehrmals jährlich direkt in den Rückenwir markskanal verabreicht werden muss“, erklärt Plecko. Den Kindern können strapaziöse Eingriffe erspart werden.
„Entscheidend ist, dass die Therapie so früh wie möglich beginnt“, unterstreicht Barbara Plecko. Denn: Einmal verlorene Nervenverbindungen lassen sich nicht mehr herstellen. Deshalb fordern Experten, dass SMA in das NeugeborenenScreening aufgenommen wird: Dadurch würde jedes Kind mit Einverständnis der Eltern nach der Geburt auf diesen Gendefekt untersucht werden und könnte noch vor Auftreten der ersten Symptome behandelt werden.
Der Grazer Patient erhielt seine Diagnose im Alter von drei Monaten, dennoch ist laut Plecko bereits eine deutliche Muskelschwäche sichtbar: Der junge Steirer wird wohl nie gehen können, er kann nicht frei sitzen und braucht nachts eine Atemunterstützung. „Wir erwarten, dass durch Zolgensma die Nahrungsaufnahme besser wird, eine Sprachentwicklung möglich wird“, sagt Plecko. „Auch für die Atemmuskulatur und Kraft in den Armen erwarten wir eine Verbesserung.“
Der Preis dafür: 1,945 Millionen Euro pro Dosis. Wie ist so ein Preis zu rechtfertigen? „Wir kritisieren, dass die Preisgestaltung nicht transparent ist“, sagt Plecko. Es seien auch Therapien für andere genetische Erkrankungen in der Pipeline – diese bringen das Gesundheitssystem aber an die finanziellen Grenzen. „Wichtig wäre, dass die Preise auf nationaler oder auf EU-Ebene fair verhandelt werden“, sagt Plecko. In Österreich herrsche ein Fleckerlteppich, da die Bewilligung vom Krankenhausträger abhängt, der die Kosten trägt.