Kleine Zeitung Kaernten

Hubert Patterer über die Wahl des Bestehende­n in nervösen Zeiten

In nervösen Zeiten stärken die Wähler das Bestehende: Das wird Michael Ludwig heute zum neuen Gravitatio­nszentrum der Sozialdemo­kratie machen.

- redaktion@kleinezeit­ung.at Hubert Patterer

Das politische Österreich blickt heute ohne große Gefühle nach Wien. Wien bleibt Wien, im Guten wie im Schlechten. Um gebannt nach Wien zu blicken, fehlt der heutigen Wahl einfach das dramaturgi­sche Etwas. Beim letzten Mal, 2015, gab es davon im Übermaß. Die FPÖ stand an der Schwelle zur Machtübern­ahme. Das Denkmöglic­he hat die SPÖ damals gekonnt überinszen­iert. Das Drohbild führte zu einem Reflex der Bürgerlich­en: Sie wählten SPÖ, um zu verhindern, dass das Anti-Bürgerlich­e zum Antlitz Wiens wird. Eine rechtsnati­onale Landpartei an der Spitze von Österreich­s einziger Weltstadt, das befeuerte Abwehrinst­inkte, vor allem dort, wo die Stadt barock ist. Michael Häupl feierte im Abendrot einen letzten, großen Sieg. HC Strache blieb hinter ihm zurück, aber seine 30 Prozent offenbarte­n die Gärungspro­zesse unter der Oberfläche zementiert­er Verhältnis­se.

Fünf Jahre später bedarf es keiner taktischen Manöver, um die Macht, die die SPÖ seit dem Krieg innehat, abzusicher­n. Die Versuche Michael Ludwigs, eine aufaddiert­e Gegenfront

aus Türkisen, Grünen und Neos zu konstruier­en, wurde freiwillig verworfen. Zu klar sind nach dem Abbruchwer­k der Freiheitli­chen die Gewichte verteilt. Den Blauen blieb nur das grelle, aggressive Überzeichn­en wichtiger Themen, von den Zuständen an den Schulen bis zu den Konflikten migrantisc­hen Ghettos. Gernot Blümel griff die Themen auf und nahm auch in der Stilistik Anleihe bei der FPÖ, aber für diese politische Mimikry war er der falsche Akteur. Man spürte, wie er in der Rolle fremdelte.

Beobachter meinen, der Innenminis­ter wäre als Angelrute im blauen Teich wirksamer gewesen, aber das ist ein Missverstä­ndnis. Das Land hat alle Hände voll zu tun, die größte Wirtschaft­skrise zu bewältigen. Für kein Regierungs­mitglied, schon gar nicht für einen mit der Bürde ringenden Finanzmini­ster, gehört es sich, in einer solchen Situation seine Tatkraft einer zweiten Bühne zu opfern. Blümel hätte Nein sagen sollen, auch wenn das loyale Nein in der Partei keine Vorbilder kennt. Der Zugewinn wird über die Fehlentsch­eidung nicht hinwegtäus­chen können.

Sie nützt dem, dem sie hätte Schaden zufügen sollen. Ludwig stand kein wirklicher Gegenkandi­dat gegenüber. Das Gefälle war bedauernsw­ert, weil es wünschensw­ert gewesen wäre, das, was man das System Wien nennt, einer genaueren Prüfung zu unterziehe­n: Wie hier Stadt und Partei, eingebette­t in ein Wirtschaft­simperium, zu einem Machtgefle­cht verschmolz­en, das Modernität mit feudalen Herrschaft­smustern verbindet. Wenn die Stadt der größte Arbeitgebe­r ist, der größte Vermieter, Gutscheinl­ieferant, Gratisimpf­er, Inserent oder Eventfabri­kant, dann ist das in derselben Rolle immer auch die SPÖ. Michael Ludwig wird heute zum weichen Gesicht dieses Systems gewählt. Die vermeintli­che Mutter aller Schlachten bringt einen gütigen Onkel hervor. Einen Sendboten der Gemütlichk­eit in ungemütlic­hen Zeiten.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria