Der Grant und das goldene Wienerherz
Oft kommt mir Wien wie eine ältere Dame im aus der Mode gekommenen Pelzmantel vor, die sich darüber beklagt, die besten Tage schon hinter sich zu haben, obwohl sie ein grandioses Leben führt.
Alle Einwohner jenes kleinen Dorfes, in dem ich aufwuchs, schienen eine gefestigte Meinung zur Wienstadt zu haben. Für die einen war Wien ein Sehnsuchtsort, wo man alles kaufen oder endlose Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung finden konnte. Wo die Anonymität und Ruhelosigkeit einer Großstadt Abenteuer wie Freiheit versprachen. Für die anderen war die Stadt ein Moloch aus Kriminalität, Drogen, Ausländern, abgehobenen Eliten, Touristenmassen, weltfremden Künstlern, Politikfilz, Dreck. Wo sich diejenigen zusammenrotten, die arroganterweise glauben, etwas Besseres als der Rest des Landes zu sein, oder schlichtweg zu lebensunfähig sind, um ein Haus mit Garten und Carport zu erhalten.
Bis heute bin ich fasziniert von Menschen, die eine klare Meinung haben, wie Wien sei. Denn ich weiß das auch nach dreizehn Jahren Hauptwohnsitz nicht. Ich kann noch nicht einmal sagen, ob ich diese Stadt mag. Wenn mir die Straßenbahn vor der Nase davonfährt und die nächste nach inkontimacht, nassen Hunden stinkt, ich zu spät zu einem Wurstsemmel mampfenden Beamten komme, der MA-2412 nachspielt, von Pensionisten bepöbelt werde, weil ich im Vorbeigehen die Tauben, die sie füttern wollten, verscheuche, im Kaffeehaus wie der Abschaum der Welt behandelt werde, exorbitante Summen an Installateure zahle, damit die Heizung der maroden und zu kleinen Altbauwohnung funktioniert, dann verfluche ich den Tag, an dem ich hierherzog.
Doch kaum bin ich länger weg, schießt mir das Heimweh ein wie einem Junkie das Verlangen. Rieche ich den Mineralölgestank der Raffinerie Schwechat, freue ich mich. Spaziere ich durch die unbeschreiblich schöne Innenstadt, bin ich glücklich. Bis mir die Straßenbahn davonfährt und die nächste nach inkontinenten nassen Hunden stinkt. Doch klar zu sagen, was diese Stadt ausmacht, ist mir trotzdem unmöglich. Denn diese Stadt ist niemals nur das eine oder das andere.
Auf der einen Seite ist Wien eine internationale Stadt. Die UNO hat ihren Amtssitz hier, ein Drittel aller Bewohner nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Es gibt Lokale, die isländischen Hai oder australisches Buschfleisch servieren, syrische Bäckereien, koschere Fleischereien, nigerianische Bars oder finnische Kaffeehäuser. Auf der anderen Seite kann man als Politiker kaum Erfolg haben, ohne das Schnitzel als Leibspeise zu preisen. In erstaunlich vielen Beisln haben sich seit den 70ern weder Einrichtung noch Menü noch Gäste geändert. Überhaupt bewegt sich die Hälfte der Stadt nur in äußersten Notfällen aus dem eigenen E Grätzel weg. iner meiner besten Freunde verließ einst eine burgenländische Kleinstadt, um seit zehn Jahren den siebten Bezirk kaum zu verlassen. Bevor ich meinen in Wien geborenen Gatten kennenlernte, hatte ich übrigens keine in Wien geborenen Freunde – wie fast alle Zugezogen. Die Eingeborenen bleiben nämlich gerne unter sich. Treue und Loyalität zählen zu den edelsten Tugenden, werden aber unzeitgemäß, wenn sie zu abgeriegelten Gruppen führen. Oder dazu, dass man Dinge ausschließlich unter sich ausnenten sprich, jemanden kennen muss, um einen guten Job, einen tollen Kindergartenplatz oder eine leistbare Wohnung zu bekommen.
In regelmäßigen Intervallen berichten Zeitungen von skandalösen Vorfällen der Freunderlwirtschaft oder Korruption rund um öffentliche Großprojekte oder Postenbesetzungen. Und alle scheinen sich daran gewöhnt zu haben. Macht eh a jeder. Ich fand meine bisherigen Wohnungen, weil ich jemanden kannte, der jemanden kennt. Apropos: Irgendwie kennen alle einander. Samstagmittag hallten, in Zeiten v. Cor., die Gassen der Innenstadt von Bussi-BussiSchmatzgeräuschen wider, begleitet von Rufen: Ja, was