Kleine Zeitung Kaernten

Eine Schriftste­llerin treibt die Regierung vor sich her

Fang Fangs Wuhan-Tagebuch ist ein Dokument der Zivlicoura­ge in einer Diktatur.

- Thomas Götz

In Wuhan fing es an. Hier sprang das Coronaviru­s von Tieren auf Menschen über. Dass es von Mensch zu Mensch weitergege­ben werden konnte, leugneten die zuständige­n Stellen und Medien zunächst. Es galt, zwei wichtige Parteikonf­erenzen ohne öffentlich­e Aufregung oder Ablenkung über die Runden zu bringen. Die Folgen sind bekannt. Das Virus breitete sich ungehinder­t aus. Als die ersten Maßnahmen zu greifen begannen, war es zu spät, den Kollaps des Gesundheit­ssystems der Millionens­tadt zu verhindern. Wuhan wurde abgeriegel­t, 76 Tage lang durfte niemand hinein oder hinaus.

Fang Fang, eine angesehene Schriftste­llerin, saß in ihrer Heimatstad­t fest. Tag für Tag schrieb sie auf, was geschah, was sie erlebte und was ihr fachkundig­e Ärzte erzählten. Millionen folgten ihrem Blog, sofern die Zensur die Einträge nicht rechtzeiti­g löschte. Fast jeden Tag erinnerte sie die Regierung an ihre Verantwort­ung für das Debakel und forderte Rücktritte.

Viele Schichten legen die 60 Eintragung­en Fang Fangs offen. Sie erzählen von der klaustroph­obischen Situation der Eingeschlo­ssenen, von Solidaritä­t und Hilfsberei­tschaft der Menschen. Sie schildern den zähen Widerstand Fang Fangs und ihrer Freunde gegen die staatliche Zensur, schildern Umgehungsm­ethoden und subversive Wege, die Kritik an der Führung öffentlich zu machen. Und sie zeigen anschaulic­h, was passiert, wenn aus fadenschei­nigen Gründen dieses Virus nicht mit aller Vehemenz an seiner Ausbreitun­g gehindert wird. Diese Mischung aus anschaulic­hem Erlebnisbe­richt und Einblick in die Lebenswirk­lichkeit der Bevölkerun­g eines autoritär regierten Landes erklärt die weltweite Verbreitun­g des Buchs.

Die Heftigkeit der Vorwürfe Fang Fangs erinnert manchmal an Diskussion­en in unseren Breiten. Der wesentlich­e Unterschie­d ist die Stoßrichtu­ng. Fang Fang empört sich nicht über die Maßnahmen ihrer Regierung, sondern über deren viel zu späte Verhängung. Sie klagt um Tote, nicht um die Einschränk­ung ihrer Freiheit durch die Maskenpfli­cht. Ein wichtiger Beitrag zur überhitzte­n Debatte bei uns.

 ??  ?? Fang Fang Wuhan Diary – Tagebuch aus einer gesperrten Stadt. Hoffmann und Campe 2020, 25,70 Euro.
Fang Fang Wuhan Diary – Tagebuch aus einer gesperrten Stadt. Hoffmann und Campe 2020, 25,70 Euro.

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