„Iceman“, der maulfaule Finne als Rekordmann in der Formel 1
Wenn Kimi Räikkönen heute auf dem Nürburgring aufs Gas steigt, ist er mit 323 Grand-Prix-Starts Spitzenreiter. Die Pole holte Bottas.
Kimi Räikkönen überholt heute mit seinem 323. Grand-Prix-Start Rubens Barrichello – der „Iceman“ist damit alleiniger Rekordhalter der Formel 1, aber auch noch viel mehr. Für viele Fans stellt der Finne, der 2001 bei Sauber seine Formel-1-Premiere feierte, eine absolute Kultfigur dar. Weil er absolut nicht in das Schema der heutigen GP-Piloten passt. Medientauglich, kommunikativ, „brav“in jeder Beziehung – all das ist Räikkönen eben nicht. Verbiegen lässt er sich nicht, macht viel eher das, was ihm Spaß macht.
Dass da auch mal feuchtfröhliche Partys eine Rolle spielen, die zumindest für Formel-1-Verhältnisse schon mehr als grenzwertig sind, hat der Beliebtheit Räikkönens keinen Abbruch getan. Alkoholbedingte Stürze auf Jachten vom Ober- auf das Unterdeck, eine komplett geleerte Minibar im Hotelzimmer am Abend vor dem Monaco-GP, geschenkt ...
Vor allem, weil seine Leistungen auf der Strecke unter den Eskapaden nie litten.
„Selbst mit Kater ist Kimi immer noch schneller als die meisten anderen topfit“, sagt Gerhard Berger, nur halb im Scherz: „Im Ernst: Ich glaube nicht, dass Kimis Aktivitäten neben der Strecke ihn bisher auch nur eine Hundertstel langsamer gemacht haben.“Auch wenn er sich bei seinem Rekord-GP die letzte Startreihe mit Nico Hülkenberg teilen muss.
Räikkönen sowieso nur eine kleine Facette des Finnen ist. Genauso wie der maulfaule GP-Fahrer, der mit seinen einsilbigen, nichtssagenden Antworten Journalisten schon mal zur Verzweiflung treibt, der als emotionslos und kühl gilt, nicht zuletzt deshalb der Spitzname „Iceman“. Auf den er dann einmal in Malaysia anspielte, als er sich während einer Regenunterbrechung ein Eis holte – und es vor laufenden Kameras genüsslich schleckte.
Denn es gibt auch den anderen Kimi Räikkönen, den, der viel mehr draufhat, als ihm viele zutrauen. Den, der sich warmherzig um seine beiden Kinder kümmert, der klassische Literatur liest – und sehr wohl Gefühle hat: „Jeder hat Emotionen“, sagt er dann, „aber jeder geht auch anders damit um. Wenn ich fahre, bin ich hoch konzentriert, Emotionen sind da fehl am Platz. Dazu kommt, dass ich kein Typ bin, der gerne zeigt, was in ihm vorgeht.“Deshalb weiß auch kaum jemand, dass seine leise Piepsstimme von einem Fahrradunfall aus seiner Kindheit rührt. Mit fünf Jahren rutschte er von den Pedalen ab und schlug mit dem Hals heftig auf die Gabel auf, quetschte sich die Stimmbänder schwer – die sich davon nie ganz erholten.
Cool war er schon immer. Sein erstes Formel-1-Rennen in Australien 2001 hätte er fast verschlafen. Sauber-Fitnesscoach Josef Leberer erinnert sich: „Kimi lag auf einer Kiste in der Box und schlief. Als ich ihn 40 Minuten vor dem Start wecken wollte, drehte er sich um und murmelte: ,Gib mir noch fünf Minuten.‘ Er schlief weiter.“Gratulationen nach dem Rennen zu seinem ersten WM-Punkt fand er überflüssig: „Habe ich etwa gewonnen?“
Bleibt die Frage, wie lange Räikkönen der Formel 1 noch treu bliebt. Rekorde sind es nicht, die ihn motivieren. „Das ist nicht der Grund, warum ich weitermache oder aufhöre“, stellt er klar. „Aktuell will ich Rennen fahren und mein Bestes geben.“Und auch wenn der Vertrag noch nicht unterschrieben ist – alles spricht dafür, dass er 2021 noch ein Jahr dranhängt. Auch als Lehrmeister für Mick Schumacher an seiner Seite. Sicher nicht der schlechteste.