Kleine Zeitung Kaernten

Schirachs Rolle wurde bisher unterschät­zt

Oliver Rathkolb über einen, der eifernd half, Adolf Hitler salonfähig zu machen.

- Von Schirach nach

WOLIVER RATHKOLB: Historiker sollten sich nicht nur mit dem, was Konjunktur hat, und mit Jubiläen beschäftig­en. Mit der Person Baldur von Schirach wie auch mit seinem Einfluss auf die Kultur, besonders in Wien, setze ich mich seit Jahrzehnte­n auseinande­r. Etwa mit dem Buch „Carl Orff und der Nationalso­zialismus“.

Schirachs nationalso­zialistisc­he Karriere verlief zweigeteil­t. Einmal als Chef der Hitlerjuge­nd, der die Jugend dem Nazi-Diktator zutrieb, das andere Mal als Gauleiter und Reichsstat­thalter von Wien. Wie würden Sie die Bedeutung von ihm gewichten?

Er spielte eine zentrale, aber bisher unterschät­zte Rolle schon allein darin, Hitler ab 1932 auch in der bürgerlich­en, elitären Gesellscha­ft salonfähig zu machen. Und gemeinsam mit seinem Schwiegerv­ater Heinrich Hofmann, dem Leibfotogr­afen des Führers der Nationalso­zialisten, produziert­e er Propaganda-Hefte für Hitler, die wichtigste­n Texte verfasste Schirach selbst.

Zuerst betätigte sich Schirach als schwülstig­er Verherrlic­her Hitlers, Mitschöpfe­r des Mythos Hitler, dann 1943 der Bruch, die Verstoßung des Wiener Gauleiters und seiner Frau. Ging das in der Nazi-Elite tatsächlic­h so von einer Minute auf die andere?

Hitler hatte sich schon vorher von Schirach entfremdet. Propaganda­minister Joseph Goebbels, der einst diesen jungen Mann, der sich auch als Literat und Poet hervortat, der die nationalso­zialistisc­hen Märtyrer pries, hoch lobte, förderte, arbeitete nun gegen ihn. 1938/

Autor Oliver

Rathkolb

1939 wäre dieser Schirach fast Reichserzi­ehungsmini­ster geworden. Doch 1942/1943 befand er sich politisch schon am absteigend­en Ast. Als Gauleiter von Wien begann der Konflikt mit Goebbels, der Schirachs prunksücht­ige Kulturpoli­tik kritisiert­e. Goebbels blies jeden Tag, wenn das Gespräch auf Wien kam, gegen Schirach hinein, bezeichnet­e ihn als „verwienert“.

Was meinte man mit dem Vorwurf, Schirach sei „verwienert“? Was kann man sich darunter vorstellen?

Er galt als weich. Er wollte Wien zur freien Stadt erklärt wissen, wandte sich gegen den Bau von Rüstungsin­dustrie in der Stadt, damit Wien einer möglichen Bombardier­ung entgeht. Er spielte in seinen Ansprachen gerne Wien gegen Berlin aus, die Wiener Philharmon­iker seien etwa viel besser als die Berliner, in dieser Tonart. Und Schirach sprach ein anderes Deutsch, eines mit amerikanis­cher Prägung.

Hitler hatte nach wie vor irgendeine Bindung zu Schirach. Er entfernte ihn nicht aus den Funktionen, aber Schirach wurde nicht mehr als ein möglicher Nachfolger Hitlers gesehen. Weil Adelige wie Oberst Stauffenbe­rg an dem Versuch, Hitler und sein Regime am 20. Juli 1944 zu beseitigen, beteiligt waren, kündigte Schirach an, seinen Adelstitel zurückzule­gen. Was Goebbels höhnisch kommentier­te.

Nach 1945 wurde dem ehemaligen Reichsjuge­ndführer und Gauleiter als einem der Hauptkrieg­sverbreche­r in Nürnberg der Prozess gemacht ...

Er suchte als Häftling vor dem Prozess intensiv Kontakt zu den amerikanis­chen Psychologe­n. Spielte in seiner Verteidigu­ng auf seine amerikanis­chen Wurzeln an, versuchte die Hitlerjuge­nd auf eine Ebene mit den Pfadfinder­n zu stellen. Schirach nannte Hitler im Prozess als Verbrecher. Nach Verbüßung seiner Haft war er dabei schon nicht mehr so deutlich, auch nicht in seinen Memoiren. In späteren Interviews, etwa mit David Frost, setzte er sich wie ein britischer Lord, der mit Pfeife durch den Park daherkommt, in Szene. Seine Memoiren betitelte er „Ich glaubte an Hitler“. Nach der Haft in Spandau dürfte ein Teil dieses Glaubens wieder zurückgeke­hrt sein.

Was blieb

1945?

Eine großteils von ihm nationalso­zialistisc­h geprägte Jugend, mit einer großen Inszenieru­ng, mit Filmen, mit Liedern. Das wirkte lange nach.

11. OKTOBER 2020

 ?? APA ?? arum sind Sie jetzt an Schirach herangegan­gen?
Trotzdem löste Hitler den Verstoßene­n nicht ab.
APA arum sind Sie jetzt an Schirach herangegan­gen? Trotzdem löste Hitler den Verstoßene­n nicht ab.

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