Schmerzhafte Lehren
Wer am gesellschaftlichen Leben teilhaben will, muss sich künftig testen lassen. Eine zumutbare Maßnahme, angesichts der Zumutung, die diese Pandemie darstellt.
Beinahe nahtlos geht der Herbstlockdown, der erst „soft“und dann härter war, in einen Winterlockdown über. Geschäfte, Frisiersalons, Museen müssen nach Weihnachten wieder schließen. Restaurants und Hotels dürfen erst gar nicht aufsperren. Beendet wird der Lockdown mit Massentests, die nur mehr bedingt freiwillig sind: Wer diesmal nicht zum Coronatest geht, muss länger in Quarantäne bleiben. „Freitesten“nennt das die Regierung, „Zwangstest“die Opposition. Immerhin: „Eine „Weihnachtsruhe“hat SPÖChefin Pamela Rendi-Wagner gefordert, eine „Winterruhe“hat die türkis-grüne Regierung daraus gemacht. Der beschauliche Name darf nicht über die Schmerzhaftigkeit der Maßnahmen hinwegtäuschen: Für Regionen, die vom Skitourismus leben; für Geschäfte und Betriebe, denen die Chance auf Umsatz genommen wird; für die Psyche von jedem und jeder Einzelnen.
Noch schmerzhafter ist aber die Lehre aus dem Herbstlockdown: Im zehnten Monat der Pandemie hat sich das Konzept Eigenverantwortung abgenutzt.
Es gibt keine Regel, die nicht ausgereizt wurde. Kein Schlupfloch, das nicht gesucht und gefunden wurde. Keine Ausnahme, für die keine Rechtfertigung parat war. Kostenlose Testangebote wurden großzügig ausgeschlagen, teils mit dem haarsträubenden Argument, bei einem positiven Ergebnis nicht in Quarantäne zu wollen. Niemand kann die Mitverantwortung, die er oder sie für die Situation trägt, von sich weisen.
Gleichzeitig darf die Regierung den mangelnden Gemeinschaftssinn mancher nicht zum Vorwand nehmen, ihre eigene Verantwortung abzuschieben. Ihr Krisenmanagement wurde zusehends löchriger, gespickt mit ambivalenten Botschaften und Signalen: Noch am Mittwoch erklärte der Gesundheitsminister öffentlich, was getan werden müsse, um einen dritten Lockdown zu verhindern, bevor er ihn am Freitag ankündigte.
Weihnachtsfeiern mit bis zu zehn Personen bleiben erlaubt, gleichzeitig spricht der Bundeskanzler von „dramatischen epidemiologischen Auswirkungen“der Feiertage.
An ihrem Widerspruchsmanagement muss die Regierung ebenso feilen wie am Erwartungsmanagement: Es war kühn vom Bundeskanzler, ein Weihnachten wie früher in Aussicht zu stellen, wenn nur genügend Menschen an Massentests teilnehmen. Und es scheint optimistisch, darauf zu bestehen, dass im Sommer wieder Normalität einkehrt. Fest steht bis jetzt nur: Auch nach diesem Lockdown wird unser Leben noch lange nicht normal sein.
S chon allein, weil sich Mitte Jänner jeder testen lassen muss, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Die Entscheidung ist hart, aber unmissverständlich. Nie war deutlicher als in der Pandemie, wie viel Verantwortung jeder Einzelne für das Gemeinwohl trägt. Abzuklären, ob man selbst eine Gefahr für andere darstellt, ist jedem zumutbar, um die Zumutung, die diese Pandemie für uns alle darstellt, so bald wie möglich zu beenden.