„Der Mensch is gut. Aber die Leut’ san a G’sindel.“
Eine Zeit der Hoffnung ist angebrochen: Nicht so sehr wegen des nahenden Geburtstagsfests eines Erlösers als wegen der nahenden Impfung gegen Covid-19. Allerdings sind wir nicht das erste auserwählte Volk, das mit dem Serum versorgt wird (Austria non est in orbe ultima!) – das sind (always victorious, happy and glorious!) die von Europa befreiten Briten, gefolgt von den von Trump befreiten Amerikanern. Und irgendwann im Jänner not last, not least, unter ferner wurden geimpft: wir – das heißt: die ersten paar von uns, die das wollen.
Es hatte etwas von den Berichten über die erste Mondlandung: Die 91-jährige Britin und Großmutter Margaret Keenan wurde als erster Mensch (der westlichen Welt) geimpft! („Es war ein kleiner Stich für sie …“) Sie erhielt um 7.31 Uhr (MEZ) ihre Impfung. Schon der Zweite war übrigens der 81-jährige William Shakespeare aus Warwickshire. Er war vermutlich mit Blick auf seine PR-Qualitäten ausgewählt worden. To be or not to be! Mit dem Datenschutz nimmt man es in GB wohl nicht gar so genau. Aber was für ein Triumph für die Literatur! Man hätte ja auch Mick Jagger, Jackie Stewart, Kevin Keegan oder die Queen als Covid-19Testimonial nehmen können!
Das Beispiel könnte Schule machen! Vielleicht findet man in Frankreich einen Monsieur Voltaire und in Deutschland einen Thomas Mann oder einen Herrn Goethe – er muss ja nicht aus Frankfurt oder Weimar kommen. Bei uns sollte als Erster unbedingt Johann Nestroy geimpft werden! (Denn er sagte: „Sterben müssen alle. Aber um mich wär’s schad!“) Johann Nestroy ist genauso real wie William Shakespeare, er lebt in einer steirischen Kleinstadt und hat mir vorletztes Jahr in einem Brief zu meinem Roman „Wiener Fenstersturz“gratuliert (in dem er vorkommt, also Nestroy, der „Schopenhauer im Würstelprater“(Anton Kuh), nicht er …) und gefragt, ob ich wusste, dass Nestroys Todestag mein Geburtstag war, bloß 100 Jahre früher. Wusste ich. Aber ob Nestroy wusste, dass sein Namenspatron zur Lebenshälfte aus Lemberg vor der Choleraepidemie flüchten musste, wo er den Rappelkopf im „Alpenkönig und Menschenfeind“von Ferdinand Raimund, dem „österreichischen Shakespeare“(Richard von Schaukal) verkörpert hatte? So schließt sich der Kreis. Egal. Wenn ich lese, dass sich nur ein Fünftel der Bevölkerung impfen lassen will (gemeinsame Verantwortung sähe anders aus …), fällt mir sofort Nestroy ein: „Der Mensch ist gut. Aber die Leut’ san a G’sindel.“