ESSAY AM SAMSTAG
| Schriftsteller Michael Köhlmeier über Sehnsüchte nach Erlösung.
Man kann warten, und man kann etwas erwarten. Die profane Haltung ist das schlichte Warten. Darum herum lässt sich allerdings nur schwer ein Kranz mit vier Kerzen winden. Aber war das Profane je etwas anderes als die heruntergekommene Form des Sakralen? Das schlichte Warten ist freilich nicht liturgiefähig. Es erhebt unsere Herzen nicht, es macht uns gähnen. Es ist langweilig. Dabei trägt das langweiligste Warten immer noch im Kern die Verheißung in sich, denn auch das langweiligste Warten ist an die Zukunft gerichtet, und die Zukunft bleibt trotz aller Berechenbarkeit ein Mysterium.
Warten und Langeweile gehören zusammen wie Kaffee und Zigaretten. Beide Begriffe sind harmlos. Aber sie sind nicht harmlos. Was sie in Wahrheit meinen, ist heimtückisch und bösartig, und das umso mehr, als sie ihr Gift hinter so harmlosen Begriffen wie eben Warten und Langeweile verbergen. Ihr Gift zersetzt die Hoffnung, die immer vom Heiligen parfümiert ist, formt sie um ins „Na und?“,
aus dem Sakralen wird das Profane. Dann warte ich, ohne zu wissen, worauf. Ich erwarte nicht etwas. Ich warte einfach. Ich warte nicht auf das Glück, ich warte nicht auf Erlösung, ich warte nicht auf den Erfolg, nicht einmal auf eine Nachricht, einen Anruf oder schlicht auf den morgigen Tag warte ich – ich warte einfach. Das ist ein modernes Gefühl, das uns Angst machen sollte, weil es gefährlich ist, doppelt Angst machen sollte, weil es zudem von der Langeweile verharmlost wird – das Warten an und für sich: Ich warte auf nichts, aber ich warte.
Samuel Beckett hat diesem Lebensgefühl in
Warten auf Godot ein Denkmal gesetzt. Niemand weiß, wer Godot ist, Wladimir nicht, Estragon nicht, Pozzo und Lucky nicht. Vielleicht ist Godot eine Allegorie für das Nichts. Die Protagonisten sind einfach, sie warten nicht auf etwas, das Warten ist ihr Sein, als Surplus bleibt nur ein bisschen Erinnerung. Es ist ein Warten ohne einen metaphysischen Wert. Godot kommt nicht, und sie wissen, dass er nicht kommt. Sie warten, und sie geben ihrem Warten einen
Sinn, indem sie so tun, als erwarteten sie jemanden. Warten
auf Godot ist fürwahr ein Adventstück. Es ist das moderne Adventstück – zugleich Apotheose und Verneinung des Advent. Godot ist die übriggebliebene Spottfigur, nachdem Christus vom Weltgebäude herab verkündet hat, dass kein Gott sei. Damit hat sich jede Transzendenz erledigt. Ich meine, seit Warten auf Godot ist kein Stück Literatur geschrieben worden, das den Menschen so empfindlich an seiner empfindlichsten Stelle trifft.
W oher wissen wir, dass es eine Zukunft gibt? Wie sind wir draufgekommen? Führt die Erfahrung der Zeit unbedingt dazu, auch die Zukunft zu denken? Leitet sich aus dem Es-war logisch und unbedingt das Es-wird-sein ab? Das sind notwendige Fragen, wenn wir uns mit dem Begriff des Wartens beschäftigen. Wenn wir das Wort Zukunft denken, sehen wir unser Gesicht nach vorn gerichtet. Die Ikonografie der Zukunft schreibt ein Vorne vor. Die Zukunft liegt vor uns, und wir schauen ihr ins Gesicht. Ist es so?
1921 kaufte Walter Benjamin ein Bild von Paul Klee, es trägt den Titel Angelus Novus. Benjamin schreibt: „Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen
Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten? Matthäus 11,3
Mit dieser bangen Frage voller Zweifel schickt Johannes der Täufer im Evangelium nach Matthäus seine Jünger zu Jesus, nachdem er im Gefängnis von dessen Taten gehört hat.