Kleine Zeitung Kaernten

Begnadet für das Schnöde

Corona hat nicht nur strukturel­le Probleme der österreich­ischen Kultur bloßgelegt, es hat auch den Sinn dafür geschärft, wie Kultur funktionie­rt und wie nicht. Ein Rückblick.

- Von Martin Gasser

Normal mangelt es in Österreich nicht an Bekenntnis­sen, Kultur sinnund identitäts­stiftende Funktion zuzuerkenn­en. Österreich und sein „für das Schöne begnadete Volk“haben ihr Image als Kulturnati­on sorgsam gepflegt und weltweit vermarktet. Umso überrasche­nder mag für manche gewesen sein, welchen Stellenwer­t der Kultur bei der Krisenbewä­ltigung zugewiesen worden ist. Kultur wurde zum Anhängsel, ein unter ferner liefen eingeordne­tes Phänomen, dem die Regierungs­bank lange wort- und begriffslo­s gegenüberg­estanden ist. Das Fremdeln zwischen Spitzenpol­itik und Kultur ist zwar nicht neu, was die Schande aber nicht verkleiner­t. Es fehlten von Beginn an eine politische Lobby und ein grundsätzl­iches Verständni­s der Nöte des Kulturbetr­iebs.

So war die Kulturstaa­tssekretär­in Ulrike Lunacek die bisher einzige Politikeri­n, die im Rahmen der Krise zurücktret­en musste. Ein Rücktritt, der viel über politische Mechanisme­n sagt. Während ein Tiroler Gesundheit­slandesrat problemlos weitermach­en kann, ist in der Kultur ein politische­s Bauernopfe­r schnell bei der Hand.

Andrea Mayer folgte nach und konnte verlorenes Vertrauen wieder aufbauen. Die Politik zeigte 2020 ohnehin zwei Gesichter. Einerseits das Versagen in der Kommunikat­ion und willkürlic­he Strategie, was Lockdown-Regelungen betraf (auch aktuell darf man nicht ins Museum, aber sich am Skilift drängeln). Anderersei­ts gab es aber auch Hilfe, viel Hilfe. Subvention­en wurden schnell verlängert, Hilfsfonds eingericht­et, der Umsatzersa­tz kam auch für die Kultur. Dass große und mittlere Institutio­nen besser durch

die Krise kommen als freie Kulturarbe­iter und Künstler, ist eine Folge der Verteilung­sfrage im Kulturspek­trum, an dessen unterem ökonomisch­en Ende auch ohne Corona im Prekariat gelebt und gearbeitet wird. Das Szenario für die Zukunft ist hier recht düster: Die Chancen auf eine mittelfris­tige Ausdünnung des kulturelle­n Lebens stehen ganz gut.

Die Kultur arbeitete an der

Demontage teilweise mit. Museen blieben aus ökonomisch­en Gründen zu, selbst als sie schon wieder hätten aufmachen dürfen. Es bedarf keines weiteren Beweises, dass Kultur letztlich dem Diktat der Wirtschaft­lichkeit gehorcht und nicht jenem der gesellscha­ftlichen Verantwort­ung. Man kann es den Betreibern nicht einmal übel nehmen, ist das doch nur die Folge des wirtschaft­lichen Drucks, eines schnöden Kosten-NutzenZwec­kdenkens, das sich sonst gern in all den Statistike­n zur Umwegrenta­bilität manifestie­rt.

Die Ohnmacht der Kulturscha­ffenden war ebenso greifbar wie deren Resilienz. Es wurde auch weitergema­cht. Die Krise zeigte jedoch, welche Missverstä­ndnisse es bei der Digitalisi­erung gibt. Livestream­s sind als Notbehelfe schön, gut und wichtig, doch sie können im Regelfall das Wesentlich­e nicht transporti­eren. Konzerte, Performanc­es,

Theater und selbst Ausstellun­gen sind Live-Formen, die sich nicht 1:1 streamen lassen, weil das Auratische und das Dialogisch­e verloren gehen. Nur wenige Kulturplat­tformen haben wirklich kreative Formate gefunden, um Inhalte sinnvoll ins digitale Medium zu übersetzen. Dass der Live-Mangel vor Augen geführt hat, wie bedeutsam die Kultur als soziales Ereignis ist, war eine der positiven Lehren, die sich aus Corona ziehen lassen.

Mit einer Normalisie­rung ist noch lange nicht zu rechnen, wahrschein­licher ist, dass die ökonomisch­e Situation angespannt­er wird: wenn Staatsschu­lden abgebaut werden und wenn Sparpakete kommen. Nicht nur die Förderland­schaft, auch das Verständni­s von der sozialen und politische­n Notwendigk­eit von Kultur wird dann noch viel stärker auf dem Prüfstand stehen als 2020.

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IMAGO Digital ist schlechter: Kultur lässt sich schwer verlustfre­i ins Internet verlegen

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