Vom Reisen um die Welt in mehr als achtzig Tagen
Historisch belegt oder frei erfunden: Reiseliteratur fasziniert heute so wie einst. Ein subjektiver Rundblick.
Sie lebten praktisch zur selben Zeit und schrieben beide über den Orient, Südamerika und den Wilden Westen. Doch unterschiedlicher könnten der Gelehrte aus dem viktorianischen England Richard F. Burton und der vorbestrafte deutsche Hochstapler und erfolgreiche Schriftsteller Karl May (1842–1912) nicht sein. Der eine war ein Reiseschriftsteller, der nie gereist ist, sein Alter Ego Kara Ben Nemsi ist ebenso frei erfunden wie dessen Getreuer, Hadschi Halef Omar, und die angebliche Kenntnis über Mekka. Richard Burton hingegen durfte sich nach erfolgreich absolvierter Pilgerfahrt zu den heiligen Stätten des Islam tatsächlich „Hadschi“nennen.
Gelesen werden dennoch beide gern, denn der Hunger nach Abenteuern in fernen Ländern ist nicht nur in LockdownZeiten groß. Genaues Hinsehen und kritische Rezeption sind aber angebracht, ob Dichtung oder Dokumentation, ob fiktiver Held oder historisch belegte Figur.
Mit literarischer Freiheit hat Ilija Trojanow ebenfalls über Richard F. Burton geschrieben. Sein „Weltensammler“erreich
te genauso Bestsellerstatus wie das fiktive Doppel-Porträt von Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) über den Mathematiker Carl Friedrich Gauß (1777–1855) und den Naturforscher Alexander von Humboldt (1769–1859). „Das
Floß der Medusa“von Franzobel ist ein Roman, der auf einem historischen Ereignis aufbaut: der Havarie der Fregatte Medusa 1816 vor der westafrikanischen Küste. Noch im Jänner wird mit „Die Eroberung Amerikas“übrigens ein neuer historischer
Roman des Österreichers erscheinen, der in die USA des Jahres 1538 führt.
Dass es auch spannende Reiseschriftstellerinnen zu entdecken gibt, geht im BestsellerReigen allzu oft unter. „Mit Bubikopf und Schreibmaschine um die Welt“zog die slowenische Journalistin Alma M. Karlin (1889–1950). Rund 100 Jahre vor ihr lebte die Wienerin Ida Pfeiffer (1797–1858), die über 13 Bücher über ihre Weltreisen veröffentlichte, die in sieben Sprachen übersetzt wurden.
Richard Burtons Ehefrau und Gefährtin Isabel (1831–1896) hätte den beiden Österreicherinnen theoretisch begegnen können bei ihren Reisen um die Welt. Sie hätten sich viel zu erzählen gehabt.