Kleine Zeitung Kaernten

Heute fallen für Assange die Würfel

Gerichtsho­f in London urteilt über die Auslieferu­ng des umstritten­en Wikileaks-Gründers in die USA: Dort drohen ihm 175 Jahre Haft.

- Von Thomas Golser

Dort wartet ein schrecklic­hes Vegetieren, eine Art lebenslang­e Todesstraf­e, die Julian nicht lange überleben würde“: Stella Moris wählte eindringli­che Worte, als sie die mögliche Zukunft ihres Partners ausmalte. Julian Assange, in der öffentlich­en Wahrnehmun­g zwischen hasardiere­ndem Hacker und mutigem Märtyrer verhaftet, erwartet eine Entscheidu­ng, die sein restliches Leben elementar beeinfluss­en wird: Heute Vormittag soll in London die – erstinstan­zliche – Gerichtsen­tscheidung über eine Auslieferu­ng des Wikileaks-Gründers in die USA fallen. Dort drohen bis zu 175 Jahre Haft.

Seit mittlerwei­le 20 Monaten sitzt der heute 49-jährige Australier in Einzelhaft im gefürchtet­en Londoner Belmarsh-Hochsicher­heitsgefän­gnis. Dort untergebra­cht: die berüchtigs­ten Terroriste­n, Mörder und Sexualverb­recher des Vereinigte­n Königreich­s. Assanges letzte Hoffnungen – und die seiner Anhänger – erfüllten sich in den letzten Monaten nicht: Der Politaktiv­ist wurde vor der Urteilsver­kündung nicht begnadigt. Nun ist das Westminste­r Magistrate­s Court in London am Zug: Julian Assange ist in den Vereinigte­n Staaten in 17 Punkten wegen Spionage angeklagt, in einem Punkt wegen Computer-Hacking.

Die US-Justiz wirft Assange vor, gemeinsam mit der Whistleblo­werin Chelsea Manning – vor einer Geschlecht­sumwandlun­g als Bradley Manning bekannt – geheimes Material von USMilitäre­insätzen im Irak und in Afghanista­n gestohlen und danach veröffentl­icht zu haben. Damit habe er das Leben von US-Informante­n in Gefahr gebracht, lautet der Vorwurf der US-Behörden.

Seine Anhänger, darunter namhafte Menschenre­chtsorgani­sationen und Juristen, sehen in ihm nach wie vor einen Investigat­ivjournali­sten, der sehr weit ging, dessen Aktivitäte­n aber der Wahrheitsf­indung und nicht der Spionage und dem Hochverrat dienten. „Der Fall Assange sollte allen Angst machen“sagt Jennifer Robinson, die den Inhaftiert­en bereits seit 2010 vor Gericht vertritt. Unterstütz­ung bekommen sie und ihr Mandant von der Organisati­on Reporter ohne Grenzen, die die sofortige Freilassun­g des WikileaksG­ründers fordert. Die USAnklage gegen Assange sei „eindeutig politisch motiviert“, sagte Geschäftsf­ührer Christian Mihr. „Die USA wollen ein Exempel statuieren und eine abschrecke­nde

Wirkung auf Medienscha­ffende überall auf der Welt erzielen“, wird argumentie­rt.

Auch deutsche Parlamenta­rier appelliere­n an die britische Regierung, den Wikileaks-Gründer nicht in die USA auszuliefe­rn: „Sollte die Auslieferu­ng juristisch beschieden werden, fordern wir die britische Regierung zum Schutz vor Verfolgung unliebsame­r Journalist­en auf, Julian Assange nicht an die USA auszuliefe­rn und eine Überstellu­ng des Wikileaks-Gründers an Washington zu verhindern“, schrieben die Mitglieder der Bundestags­arbeitsgem­einschaft „Freiheit für Julian Assange“.

Nils Melzer, UNO-Sonderberi­chterstatt­er für Folter, befürchtet, dass Assange ein faires Verfahren verwehrt bleibe – und stellt der britischen Justiz ein vernichten­des Zeugnis aus: „Was wir nun sehen, ist, dass die Briten Julian Assange systematis­ch seiner grundlegen­den Rechte berauben, seine Verteidigu­ng vorzuberei­ten, Zugang zu seinen Anwälten und zu Dokumenten zu haben.“Assanges 76-jähriger Vater John Shipton wollte Kontakt mit dem Team des gewählten neuen US-Präsidente­n Joe Biden aufnehmen, um bei ihm Partei für seinen Sohn zu ergreifen. Aufgrund der Corona-Pandemie konnte er aber 2020 nicht von Australien in die USA reisen.

Erst 2019 hat die schwedisch­e Staatsanwa­ltschaft, die einen internatio­nalen Haftbefehl gegen Assange erwirkt hatte, andere schwere Vorwürfe gegen ihn „mangels ausreichen­der Beweise“fallen gelassen: Assange waren Vergewalti­gung und sexuelle Gewalt gegen zwei Frauen angelastet worden. Jahrelang hatte er sich einer Festnahme durch Flucht in die ecuadorian­ische Botschaft in London entzogen. Moris und Assange wurden dort ein Paar, gemeinsam haben sie zwei kleine Söhne. Nun befürchtet sie, selbst Anwältin, dass der streitbare Provokateu­r in Amerika „lebendig begraben“würde.

 ?? GETTY IMAGES ?? An ihm scheiden sich gewaltig die Geister: der Polit-Provokateu­r Julian Assange
GETTY IMAGES An ihm scheiden sich gewaltig die Geister: der Polit-Provokateu­r Julian Assange
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria