Ohnmacht regiert
Ein Jahr nach ihrer Angelobung taumelt die türkis-grüne Bundesregierung immer unkoordinierter durch die Coronakrise. Sie wird Opfer ihrer eigenen Inszenierung.
Es hätte so schön sein sollen. Beim PR-Termin anlässlich der ersten Corona-Impfung in Österreich am 27. Dezember freuten sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) um die Wette: Endlich der so lange ersehnte Lichtblick in der enervierenden Coronakrise. Im neuen Jahr sollte man dann peu à peu aus der Krise kommen.
Nun ist 2021 nicht einmal eine Woche alt – und statt Aufbruchsstimmung zu vermitteln, blickt die türkis-grüne Bundesregierung auf einen desaströsen Jahresauftakt. Beim Plan, sich früher aus dem Lockdown „freitesten“zu können, was Experten kritisch sahen, spielte die Opposition nicht mit. Der Spin, dieser die Schuld an einem „verlängerten Lockdown“zu geben, ging nicht so richtig rein.
Zehntausende Impfdosen lässt man zwei Wochen abliegen, anstatt sie mit Verve zu den Risikogruppen zu bringen. Bis gestern wurden in Österreich erst 8360 Menschen geimpft. Selbst die ÖVP-interne Message Control versagt: Bildungsminister Heinz Faßmann will die Schulen am 18. Jänner wieder
wolfgang.fercher@kleinezeitung.at
aufsperren, Klubobmann August Wöginger mit LockdownEnde eine Woche später. Der Kanzler reagiert immer dünnhäutiger auf Kritik. Der Gesundheitsminister spricht zwar nach wie vor ruhig und sachlich, vermittelt aber immer mehr ein Gefühl der Ohnmacht.
Ein Jahr nach dem Start verliert die Bundesregierung stetig an Vertrauen. Die Bilanz des Krisenmanagements, das sieben Wochen nach der Angelobung begann: stark angefangen, stark nachgelassen. Ja, die Entwicklung einer Pandemie lässt sich nicht planen. Ja, zeitlich immer die richtigen Maßnahmen zu setzen, ist unmöglich. Ja, auch in anderen Ländern geht in der Krise vieles schief. Ja, ein Lockdown hat sich kaum wo verhindern lassen. Ja, das Spannungsfeld zwischen Gesundheit und Wirtschaft ist enorm.
Trotzdem muss sich TürkisGrün einiges vorwerfen lassen: zu wenig Transparenz bei Entscheidungen, zu viel Inszenierung, unbrauchbar aufbereitetes Zahlenmaterial, ungenügende Vorbereitung auf die zweite Welle, die zu Tausenden Toten führte, nicht vorhandene Fehlerkultur, Parlament ignorieren ...
Eine weitere Analyse dieses ersten, historischen Regierungsjahres abseits von CovidGesetzen, Schließungen und Beschränkungen ist fast müßig: Themen wie Anti-Terror-Paket, Hochschulgesetz oder 1-2-3-Ticket konnten nur kurz von der Causa prima ablenken. Die Zweck- und Schicksalsgemeinschaft wird weitermachen, das Ringen um Lockerungen und Verschärfungen wird weitergehen. Die FPÖ, die immer mehr zum Vehikel von Coronaleugnern wird, beweist jedenfalls, dass sie keine Alternative ist. ie Moral der Geschichte? Die Hoffnung, dass die Menschen bei aller Kritik nicht darauf vergessen, dass es primär darum geht, das Coronavirus einzubremsen. Und da sind sich seriöse Experten einig: Abstand halten, Masken tragen, sich möglichst bald auch impfen lassen. Erst dann wird die Ohnmacht vorbei sein.
D