Kleine Zeitung Kaernten

Operation am offenen Herzen der Mobilität

Vom 1-2-3-Ticket bis zur Pendlerpau­schale: Heuer sollen die Weichen für eine Wende beim Verkehr gestellt werden.

- Von Günter Pilch

Die Verhandlun­gen sind mühsam und ziehen sich zwischen Bund, Ländern und Verkehrsve­rbünden seit fast einem Jahr hin. Doch hält der Zeitplan von Verkehrsmi­nisterin Leonore Gewessler, soll es im Frühsommer so weit sein: In Österreich wäre erstmals eine bundesweit­e Öffi-Jahreskart­e erhältlich. 1095 Euro – also drei Euro pro Tag – soll das Ticket kosten und der erste von drei Teilen eines zentralen Verspreche­ns der grünen Ministerin sein. Im Endausbau sieht das 1-2-3-Ticket auch Jahreskart­en für zwei Bundesländ­er (730 Euro) beziehungs­weise ein Bundesland (365 Euro) vor.

Doch ob der Fahrplan mit einem Start vor Jahresmitt­e nun hält oder nicht – klar ist, dass es mit einem neuen Öffi-Ticket, einigen zusätzlich­en Nachtzügen und der seit Jahresbegi­nn erhöhten Normverbra­uchsabgabe (NoVA) in Sachen Verkehrspo­litik heuer nicht getan sein kann. Die neuen EU-Klimaziele dürften für Österreich bis 2030 eine CO2-Reduktions­verpflicht­ung um die Hälfte (verglichen mit 2005) mit sich bringen. Zehn Jahre darauf soll das Land laut Regierungs­programm überhaupt klimaneutr­al sein. Der Verkehr ist der Sektor mit dem größten Potenzial, der Republik diese Ziele zu verhageln. Das zu verhindern, so sind sich Fachleute einig, kann nur mit einer Operation am offenen Herzen der Mobilität gelingen, die heuer beginnen muss.

Seit 1990 sind die Verkehrsem­issionen in Österreich um 75 Prozent gestiegen. Fast jede zweite Tonne CO2, für die Österreich internatio­nal geradesteh­en muss, stammt von den Straßen. Etwas mehr als ein Drittel davon steuert der Güterverke­hr bei, dessen Verlagerun­g auf die Schiene bislang kaum gelungen ist und dessen Emissionen sich binnen 30 Jahren mehr als verdoppelt haben. Der große Rest entstammt den Pkw, von denen es hierzuland­e inzwischen mehr als fünf Millionen gibt. Und die Autos werden von Jahr zu Jahr stärker und schwerer. Lag die durchschni­ttliche Leistung der Neuwagen vor zehn Jahren noch bei knapp 100 PS, ist sie inzwischen bei 120 PS angelangt, Tendenz weiter steigend, wie heuer eine der Wiener Städtische­n Versicheru­ng ergab. Fast jeder vierte Neuwagen ist mittlerwei­le ein SUV, 80 Prozent davon werden steuerscho­nend als Dienstwage­n

Wangemelde­t. ie die Kehrtwende gelingen kann, soll ein Mobilitäts­masterplan skizzieren, den das Ministeriu­m in den kommenden Monaten fertiggest­ellt haben will. Die zu beackernde­n Problemste­llen sind freilich kein Geheimnis und finden sich zum Teil auch im Regierungs­programm. 2021 darf diesbezügl­ich als Entscheidu­ngsjahr angesehen werden. So soll die Pendlerpau­schale, die seit jeher kaum Anreize zum Umstieg auf Öffis setzt, umgestalte­t werden. Ein Vorhaben, das Verlierer kennen wird und deshalb einem politische­n Minenfeld gleicht. Auch das Steuerpriv­ileg für Dienstwage­n entwickelt sich zum ökologisch­en GAU und soll überarbeit­et werden. Kaum haltbar sein wird auch die steuerlich­e Bevorzugun­g von Diesel, wie das Umweltbund­esamt und der Fiskalrat der Republik mit Blick auf mögliche Klima-Strafzahlu­ngen feststelle­n. Das gilt umso mehr, als sich die lange gepredigte klimaschon­ende Eigenschaf­t von Dieselauto­s in der Praxis als Mär erwiesen hat.

Ein Schrauben an der Mineralöls­teuer wird der Regierung schon aus Eigennutz nicht erspart bleiben. Denn solange der Sprit in Österreich günstiger zu haben ist als in Nachbarlän­dern, blüht der Tanktouris­mus, der zwar die Mineralöls­teuer-Einnahmen sprudeln lässt, allerdings das österreich­ische Klimakonto jedes Jahr mit Millionen Tonnen CO2 belastet.

Doch das Problem beschränkt sich nicht auf die Klimafrage. Der motorisier­te IndiAufste­llung

vidualverk­ehr bringt Pendlerrou­ten und Städte regelmäßig an und über den Rand der Überlastun­g. Ein Logistikpr­oblem, das immer neue Straßenaus­bauten und damit Flächenver­siegelung nach sich zieht und sich auch durch den Umstieg auf Elektromob­ilität nicht löst.

Eine der Ursachen für die Maßlosigke­it: In den Kosten der Individual­mobilität bildet sich der verursacht­e Schaden kaum ab. Diesen trägt die Allgemeinh­eit, das Verursache­rprinzip ist ausgeschal­tet. Stattdesse­n gilt über weite Strecken das System Autobahnvi­gnette: Bezahlt wird ein Mal, danach herrscht freie Fahrt. Nur innerhalb solcher Systembedi­ngungen ist es überhaupt denkbar, zur Beförderun­g von 70 Kilogramm Mensch wie selbstvers­tändlich ein bis zwei Tonnen Metall in Bewegung zu setzen. Die Konsequenz­en lassen sich nachlesen. Laut einer aktuellen Studie des Wifo und der Statistik Austria hat der Energiever­brauch des österreich­ischen Verkehrs zwischen den Jahren 2000 und 2018 um mehr als 37 Prozent zugenommen und das BIP-Wachstum deutlich überflügel­t. Im EUMittel waren es im selben Zeitraum nur 7,7 Prozent. Die Energiever­schwendung des Mobilitäts­sektors ist unabhängig von der Antriebsar­t gewaltig und lässt sich nur strukturel­l lösen.

Womit die Diskussion wieder bei den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln gelandet wäre. Diese sind energie-, platz- und klimaschon­ender unterwegs. Laut Statistik Austria verursacht der Personenki­lometer im Pkw im Mittel 217 Gramm CO2. Im Bus sind es 55 Gramm, mit der Bahn 8. Entspreche­nde Weichenste­llungen werden der Politik heuer nicht erspart bleiben.

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