Der Zauberberg am Limit
REPORTAGE. Nach dem Ansturm auf den Semmering in den vergangenen Tagen blieben die Massen zu Dreikönig aus. Die Verschnaufpause dürfte kurz sein.
Der Schnee entlang des Banketts der Bundesstraße ist grau verfärbt, ein Baugitter reiht sich hier an das nächste. Platz für parkende Autos ist keiner mehr, für Spaziergänger ebenso nicht. In die Höhenluft mischt sich Abgasgeruch, der mit jedem vorbeikommenden Auto aufgefrischt wird. „Der Semmering ist einfach der
Hausberg der Wiener“, meint Hermann Doppelreiter, während er die Menschen auf der Passhöhe resigniert beobachtet. Er ist der Bürgermeister der Gemeinde Semmering, die seit Weihnachten einen „verstärkten Zustrom“an Wintersportlern verzeichnet. „Es sind mehr Wanderer, Bobfahrer und Rodelfahrer, die auf die Wiesen
und Böschungen strömen, als Skifahrer am Berg“, sagt Doppelreiter.
Vor dem Lifteinstieg und an den Kassen erinnert eine elektronische Durchsage im FünfMinuten-Takt an Abstand und FFP2-Maske. Reicht das nicht aus, schreitet das Securitypersonal weniger zimperlich ein. Es stehe viel auf dem Spiel, meint ein Bediensteter. „Sonst drehen sie uns alles wieder zu, das wollen wir nicht.“Das erarbeitete Konzept funktioniere aber sehr gut, ist Josef Autischer von den Bergbahnen Semmering überzeugt: „Wenn man den Leuten die Maßnahmen erklärt, werden sie auch angenommen.“
Am Fuße des Zauberbergs haben die Einweiser alle Hände voll zu tun, die Autos auf den Parkplätzen zu schlichten. Diese kann man nur mit gültigem OnlineTicket benützen. Beim Parken ist das Thema Abstand noch nicht von Bedeutung: Die Autokolonnen, wenn auch nicht idyllisch, sind epidemiologisch unbedenklich. Sorgen bereiten die erwarteten Menschenmassen am Feiertag.
„Es ist die Lage“, die so viele Großstädter an die steirischniederösterreichische Grenze locke, weiß ein Helfer. Er zeigt auf die Talstation: „Das ist heute gar nichts.“Bei leichtem Schneefall zu Dreikönig sei die Schlange vor dem Ski- und Rodelverleih nicht annähernd so lang wie die Tage zuvor. „Aber schauen wir am Sonntag weiter“, seufzt er. Mit einem Ende des Massenzustroms rechnet auch Doppelreiter nicht: „Es ändert sich jeden Tag die Situation.“Die Devise, Gäste fernzuhalten, sieht der Bürgermeister als Fluch und Segen zugleich. Auf die Frage, ob es leichter sei, Gäste anzulocken oder fernzuhalten, meint er: „Die Leute zu lenken ist schwieriger, weil man damit weniger Erfahrung hat als mit Werben.“
Die Gäste selbst nehmen die Situation gelassen: „Es sind schon relativ viel Leute da, das hätte ich nicht gedacht bei dem Wetter. Aber wir müssen mal raus.“Die Berichterstattung rund um den Semmering habe aber keinesfalls an der Entscheidung über einen Wintersporttag gerüttelt, denn „jeder ist für sich selbst verantwortlich.“Bedenken aufgrund der Corona-Situation gibt es bei den Wintersportlern nicht: „Mit den Maßnahmen wurde das gut gelöst, die Leute halten sich an die Regeln.“Auch die Bedingungen seien heute top, am Berg liege ein „schöner, griffiger Schnee“, meint ein Paar aus Klosterneuburg. Bei vielen Ausflüglern bleibt es wohl bei einem einzigen Tag Semmering diesen Winter: „Der Aufwand ist einfach zu groß.“
Auch wenn sich Doppelreiter über jeden Gast freue, in diesen Tagen sei der Semmering am Limit. Er appelliert, die Situation und die Nachrichten aufmerksam zu verfolgen, und wird auch wieder froh sein, wenn die klobigen Baugitter nicht mehr seine Ortszufahrt zieren.