„Das geht weit über die Medizin hinaus“
Die Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, dass das Verbot der Suizidbeihilfe verfassungswidrig sei, offenbart die Desorientierung unserer Gesellschaft, gerade in Zeiten einer Corona-Pandemie.
In der Pandemie wird zum Schutz des Lebens das Recht auf Leben in vielen Bereichen zugunsten der Pandemie untergeordnet, man spricht dabei vom Schutz vulnerabler Gruppen.
Aus medizinischer Sicht erwarte ich mir vom Staat, dass er bei der Suizidbeihilfe das Schutzkorsett genauso eng schließt wie in der Pandemie und dass die Menschen, die eventuell unter Druck geraten könnten, weil sie vulnerabel sind, nicht erklären müssen, warum sie noch leben, warum sie nicht „ihr Leben in Würde beenden“.
Es gehören auch diese vulnerablen Gruppen geschützt. Viele Fragen sind ja noch gar nicht beantwortet: Ab wann hat der Mensch ein Anrecht auf Suizidbeihilfe? Wer definiert menschenwürdiges Sterben? Warum wurde
Sterben zur medizinischen Diagnose gemacht? Genauso wie es eine Offenlegung der Coronatoten gibt, erwarte ich mir eine öffentliche Statistik darüber, wie viele Menschen durch Suizidbeihilfe sterben.
Menschen können auch in Ruhe einschlafen, wenn sie das Alter erreicht haben. Warum sollte menschenwürdiges Sterben nur durch die Hand eines Menschen und nicht an der Hand eines Menschen, wie schon Kardinal König sagte, möglich sein? Wir sollten in der Medizin alles tun und die Hand ausstrecken, um den Menschen aufzufangen im Netz der Wärme und Geborgenheit, statt eine todbringende Spritze als Suizidbeihilfe zu verabreichen, die menschliche Kälte verursacht.
„Genauso, wie es
eine Offenlegung
der Coronatoten
gibt, erwarte ich
eine Statistik
darüber, wie viele
durch Suizidbeihilfe sterben.“
Wir schützen die Gesellschaft vor einem biologischen Virus. Wir sollen die Gesellschaft genauso vor dem geistigen Virus des assistierten Suizids schützen. Das geht weit über die Medizin hinaus, weit über das biologische Leiden, inkludiert das psychosoziale, spirituelle und existenzielle Leiden. Stärkung der Solidarität, Stärkung der Wärme der menschlichen Gesellschaft könnte eine Antwort darauf sein.
ist Mediziner und Präsident der österreichischen Palliativgesellschaft