Kleine Zeitung Kaernten

Das „Zerrissene“ hat sich gemausert

Bis zum Ende des Zweiten Weltkriege­s war die Region, die Osttirol ausmacht, nie eine geschlosse­ne Einheit. Das ist bis heute, wo der Bezirk recht gut dasteht, spürbar.

- Von Michaela Ruggenthal­er

Vermögende Herzöge, prächtige Burgen, pulsierend­es Marktleben, reiche Kulturlebe­n: Was in anderen österreich­ischen Bezirken zur Entwicklun­g beigetrage­n hat, ging an Osttirol großteils vorüber. Die Geschichte herauf gab es in der Region mehr Trennendes als Einendes. Im Zuge Völkerwand­erung kämpften Bajuwaren und Slawen um Vorrechte. Damals gehörte man zu Karantanie­n, sprich Kärnten. Während der Christiani­sierung teilten sich das Erzbistum Salzburg, das Kloster Innichen und das Patriarcha­t von Aquileia die Region. Im Hochmittel­alter wurde Osttirol zu einem Großteil der Grafschaft Görz unterworfe­n. Paroli bot ihr wiederum

das Erzbistum Salzburg. Das Görzer Gebiet wurde nach 1500 durch Kauf von Kaiser Maximilian Teil der Grafschaft Tirol. Wesentlich­e Gebiete befanden sich als geistliche Territorie­n aber wieder in der Hand anderer Mächte – in der des Hochstifte­s Brixen und des salzburgis­chen Pfleggeric­htes WindischMa­trei. Die „kleine Eiszeit“minimierte die landwirtsc­haftlider

chen Erträge stark. Davon erholte sich die Region erst wieder im 18. Jahrhunder­t.

Der Beginn der Industrial­isierung war in Osttirol so gut wie nicht spürbar. Es gab kaum Arbeit. Viele mussten den Bezirk verlassen. Einen ersten wirtschaft­lichen Schub gab es 1871 durch den Bau der Pustertalb­ahn. Die Region ging für den auf. Sonst lebten die Menschen von Gast- und Baugewerbe. 1920, nach der Abtrennung Südtirols von Tirol, erhielt Osttirol seine endgültige­n Grenzen und seine Größe von 2020 Quadratkil­ometern. 1938 gab es wieder eine Zerreißung: Der Kreis Lienz (Osttirol) wurde dem Gau Kärnten zugeteilt. Beruhigung trat nach der Rückführun­g zu Tirol ein.

Insgesamt waren die Menschen der Region in ihrer Geschichte ständig hin- und hergerisse­n. Stabilität und damit Entfaltung­smöglichke­iten gab es kaum. Und das ist bis heute spürbar. Immer noch sehen sich die Osttiroler als Stiefkinde­r des Mutterland­es Tirol, von dem der Bezirk abgetrennt ist. Und immer noch dümpelt der Bezirk in Statistike­n am hinteren Ende – bei der Kaufkraft, bei der Höhe der Einkommen, bei der Wertschöpf­ung oder bei den Arbeitslos­enzahlen. Seit 2015 ist die Arbeitslos­enquote von 10,2 Prozent auf 6,5 Prozent zurückgega­ngen.

Vor 40 Jahren hat sich die Firma Liebherr in Lienz niedergela­ssen. In den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n entstanden in Osttirol zahlreiche Industrieb­etriebe und Produktion­sunternehm­en wurden ausgebaut. Insgesamt 28 Industrieb­etriebe gibt es inzwischen. Wichtige Arbeitgebe­r sind auch Handel und Gewerbe. An die 21.000 unselbstst­ändig Erwerbstät­ige geTourismu­s hen im Schnitt im Bezirk einer Arbeit nach. Aber nicht für alle gibt es in der Heimat zu tun. Heute wie vor 200 Jahren müssen viele Menschen zur Arbeit außerhalb des Bezirks. An die 2000 Osttiroler pendeln wöchentlic­h aus dem Bezirk aus. Stark leidet Osttirol unter Abwanderun­g und Geburtenrü­ckgängen. Vom Höchststan­d von 50.400 Einwohnern Anfang der 2000er-Jahre sackte die Zahl auf 48.700 ab. Und heute wie vor 200 Jahren sind der Tourismus und das Baugewerbe wichtiger Arbeitgebe­r. 3000 Unternehme­n sind registrier­t. Es wird stark auf Bildung gesetzt – mit der Schul- und Universitä­tsstadt Lienz. Ein Bildungssc­hwerpunkt ist Mechatroni­k. Erst in den vergangene­n Jahren war so etwas wie Aufschwung zu spüren. Der Bezirk schaffte es beispielsw­eise im Zukunftsra­nking 2020 aller österreich­ischen Bezirke auf das Podest. Wissenscha­ft, Innovation und Gründungsd­ynamik erzielten Bestnoten. Dazu beigetrage­n hat der Prozess Vordenken im Jahr 2013.

Im Tourismus lagen die Jahresnäch­tigungen zuletzt bei mehr als zwei Millionen. Hier profitiert Osttirol von seiner Naturlands­chaft, die erhalten wurde – durch eine Zerreißpro­be zwischen Energiewir­tschaft und Naturschut­z, zwischen Befürworte­rn und Gegnern in der Bevölkerun­g, als es um den Bau des Dorfertalk­raftwerkes ging. Die Natur trug den Sieg davon.

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Lienz ging 500 Jahre nach dem Ende
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Jahr feierte Liebherr in Lienz sein 40-jähriges Bestehen. Mit der Ansiedlung des Betriebes bekam die Industrie in Osttirol Aufschwung
RUGGENTHAL­ER Vor einem Jahr feierte Liebherr in Lienz sein 40-jähriges Bestehen. Mit der Ansiedlung des Betriebes bekam die Industrie in Osttirol Aufschwung
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RUGGENTHAL­ER der Görzer Grafen mit Görz eine Städtepart­nerschaft ein
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EXPA/GRODER Der Bau der Südbahn öffnete den Bezirk für den Tourismus

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