ZiB-Moderator Tarek Leitner über den Sprachwandel.
Eine kleine Pause sorgt für Diskussionen: ZiB-Moderator Tarek Leitner im Gespräch über das Binnen-I, Sprachwandel und eine neue Sachlichkeit.
Herr Leitner, es fällt auf, dass Sie als Moderator der „Zeit im Bild“seit einiger Zeit bewusst das Binnen-I hörbar machen, wenn sowohl Männer als auch Frauen gemeint sind – etwa mit einer Pause im Wort „ÖsterreicherInnen“. Welche Publikumsreaktionen gibt es darauf?
TAREK LEITNER: Ich habe sie nicht gezählt, es sind sehr, sehr viele gewesen. Aber ich habe den Eindruck gewonnen, dass bei all diesen Zuschriften eine größere Sachlichkeit herrscht, als das bisher der Fall war.
Wir diskutieren seit knapp 40 Jahren über einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch. Können Sie sich die anhaltende Emotionalität der Debatte erklären?
Es ist ja nicht das einzige Thema, über das so emotional diskutiert wird. Es gibt auch sehr emotionale Reaktionen auf Coronastatistiken. Es überrascht mich manchmal, mit welchen Argumenten und auch Emotionen da reagiert wird. In dem Fall kommt noch etwas dazu, nämlich dass viele Menschen zwar vordergründig sagen, „mir ist es wurscht, wie es ausgesprochen wird, mir geht es doch nur um den Inhalt“. Da kann ich dann nur sagen: Jo, dann wäre es ja eh kein Problem.
War Ihnen vorab klar, dass der Gebrauch des Stimmritzen-Verschlusslauts vor dem Binnen-I emotionalisieren wird?
Eigentlich bin ich mit der Intention hineingegangen, dass es das Gegenteil wird. Nicht: keine Diskussion, sondern: keine so große Emotionalität. Ich glaube, das ist auch gelungen. Wie eingangs gesagt, hatte ich den Eindruck, dass die Emotionen, die mich direkt erreichen, sachlich sind und es manchmal nicht schlecht ist, wenn man das, was man tut, ein bisschen ausführlicher erklärt. Insofern freut es
mich, wenn es ein kleines Stück zu einer Versachlichung beigetragen hat, obwohl wir, wie Sie sagen, nicht erst seit vier Tagen, sondern seit vier Jahrzehnten über dieses Thema reden.
Haben Sie bewusst in Kauf genommen, dass manche Zuschauer heftig reagieren könnten?
Ich kann jetzt natürlich nicht sagen, wie repräsentativ die jetzt so sachlichen Reaktionen in der großen ZuseherInnenschaft sind. Aber natürlich ist es immer so: Wenn man ein Argument ins Treffen führt, dann kann ich gut damit umgehen, dass es Menschen gibt, die eine andere Sicht auf die Dinge haben. Ich lasse mich auch überraschen, in welche Richtung die Diskussion in den nächsten Jahren geht. Und so lange wird es wohl noch brauchen, bis die Weichen gestellt werden bei der Entscheidung, wie wir das biologische Geschlecht auch in die Grammatik hereinnehmen. Die Entscheidung, ob wir es machen, ist – glaube ich – gefallen. Das Wie ist ein Prozess, der noch einige Zeit dauert und ich werde auch mit anderen Entscheidungen leben, wenn sich das in der Gesellschaft mehrheitlich durchsetzt. Die Sprache entsteht beim Sprechen.
Die Frage stellt sich auch, weil es natürlich ein politischer Akt ist, das Binnen-I in der größten und wichtigsten Informationssendung hörbar zu machen?
Letztlich kann jede Ausdrucksform, jede Begrifflichkeit als politisch bezeichnet werden, weil man immer darauf aufpassen muss, ob man bei Formulierungen Wordings und Framings übernimmt, die eine Gruppe, eine Lobbygruppe, eine politische Partei, die Regierung vorgibt. Oder ob man ein anderes Wording übernimmt. Wir versuchen bei all diesen Begrifflichkeiten die neutralste Form zu finden – aber auch die sagt natürlich etwas über den Sprecher aus.
Das Thema der gendergerechten Sprache taucht aktuell noch an anderer Stelle auf: Der OnlineDuden verzichtet neuerdings auf das generische Maskulinum, wo die männliche Form die weibliche „mitmeint“. Das Lexikon führt nun
zum Beispiel nicht nur den „Bäcker“, sondern auch die „Bäckerin“als eigenständigen Eintrag. Ein Vorgehen, das Sie begrüßen?
Ich bin der Meinung, es ist ja schon vorbei mit dem generischen Maskulinum. Diese Debatte haben wir schon geführt. Damit will ich gar nicht noch einmal beginnen. Das generische Maskulinum ist grammatikalisch bis heute richtig, die Gesellschaft hat aber trotzdem die Übereinkunft getroffen, dass das nicht mehr geht. Auf diese formalistische Argumentation können wir uns also nicht zurückziehen – und darauf hat der Duden nur reagiert. Die DudenRedaktion ist ein nicht unwesentlicher Player, der einer Sache Ausdruck verliehen hat, die ohnedies schon so ist.
Wenn wird das richtig verstanden haben, war die Pause vor dem Binnen-I ein Alleingang von Ihnen. Wie wird denn Ihr Vorstoß im ORF betrachtet?
Ich glaube, das ist ja auch das Schöne, dass den Menschen nicht eine breite Front einer neuen Ausdrucksweise gegenübersteht. Bei uns im Haus gibt es keine verpflichtenden Regeln, die jeder auf Punkt und Beistrich und in jedem Fall einhalten muss. Die Vielfältigkeit des Sprechens stellt sich bei uns ähnlich dar, wie es in der gesamten Gesellschaft ist. Und ein Teil davon bin ich – und ich versuche jetzt, diesen Weg zu gehen. Auch wenn ich weiß, dies ist für mich persönlich nicht bis zur letzten Konsequenz und nicht in jeder Formulierung und Situation durchzuhalten. Das finde ich auch legitim, weil Sprechen nicht Mathematik ist.